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MELDUNG/827: Pionier des Computerschachs verstarb (SB)


Nachruf auf Hans Berliner


Freunde des Korrespondenzschachs erinnern sich mit großer Freude an die Fernschachpartie zwischen Hans Berliner und Yakov Estrin aus dem Jahre 1965 - für viele ein einzigartiges Meisterwerk, gar die beste Partie überhaupt in der Fernschachgeschichte. Berliner gewann die Partie in einer noch heute hochbrisanten Eröffnung nach 42 Zügen und avancierte daraufhin zum Fernschachweltmeister. Daneben war Berliner auch ein Pionier auf dem Gebiet des Computerschachs. Am 13. Januar dieses Jahres verstarb er in Riviera Beach im US-Bundesstaat Florida im Alter von 87 Jahren.

Wie schon sein Name andeutet ist er 1929 in Berlin geboren worden. Dort verbringt er einen Teil seiner Kindheit, als sich jedoch der Schatten eines drohenden Krieges über Europa legt, verlassen seine Eltern 1937 Nazi-Deutschland und emigrieren in die USA nach Washington DC. Mit 13 Jahren lernt Berliner die Schachregeln und fängt sofort Feuer. Für den mathematisch begabten Jungen, der in der neuen Heimat noch nicht angekommen ist, stellt das Königliche Spiel nicht nur eine geistige Herausforderung dar, sondern verschafft ihm auch Trost im tristen Grau seines Alltags. Für eine lange Zeit wird das Schachspiel seinen unbändigen Hunger nach Wissen stillen. Seine Fortschritte sind jedenfalls so beachtlich, daß er im Washington Chess Divan blindsimultan gegen sechs starke Spieler der Region den Sieg erringt.

Nach der Schule nimmt Berliner ein Physikstudium auf, bricht es aber wieder ab und muß 1951 zur Armee. In Soldatenuniform kehrt er nach Deutschland zurück und spielt zwei Jahre am Spitzenbrett des Kreuznacher Schachvereins 1921. Aus dieser Zeit ist keine einzige Verlustpartie von ihm bekannt. Wieder in den USA widmet er sich erneut mit großer Leidenschaft dem Schachspiel und wird in die US-Olympiamannschaft aufgenommen, mit der er 1952 in Helsinki antritt. Dort spielt er allerdings nur eine einzige Partie - ein Remis gegen Frantisek Zita. Doch das Schach läßt ihn nicht mehr los. 1953 wird er New York State Champion und gewinnt drei Jahre später das Eastern States Open vor William Lombardy, Nicolas Rossolimo und den damals 13jährigen Bobby Fischer. 1957 wird er Fünfter bei der US-Landesmeisterschaft. Im klassischen Schach erreicht er den Rang eines Internationalen Meisters.

Als er ein Psychologiestudium beginnt, wechselt er verstärkt vom Nah- zum Fernschach. Hier kann er seinen Drang nach Perfektion regelrecht austoben. Immer den besten Zug in jeder Stellung zu suchen wird seine ganze Passion. 1955, 1956 und 1959 reüssiert Berliner zum Meister der USA im Fernschach mit einer perfekten Bilanz von 18 Siegen in 18 Partien. Und schließlich erringt er den Titel des Fernschachweltmeisters in der Finalrunde von 1965 bis 1968. Diesen Titel wird der Perfektionist allerdings nicht mehr verteidigen, weil er sich vom aktiven Schach weitestgehend zurückzieht.

Schon seit 1960 arbeitet er für das neu gegründete Unternehmen IBM, wo er an der Entwicklung eines Schachcomputers forscht. Doch die Computertechnologie steckt noch in den Kinderschuhen, ist zu unausgereift, um im Schach wirkliche Fortschritte zu machen. 1962 nimmt er wieder ein Studium auf und promoviert 1974 mit einer Doktorarbeit über "Chess as Problem Solving: The Development of a Tactics Analyzer." Später wird er Professor für Computerwissenschaften an der Carnegie Mellon University. Seine Forschungsarbeit als Systemanalytiker auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz bekommt eine neue Stoßrichtung, als sich Berliner dem Backgammon widmet, wo die Spielmöglichkeiten begrenzter sind. Sein eigens dafür konzipiertes Computerprogramm besiegt 1979 den Weltmeister Luigi Villa im Backgammon. Der Durchbruch ist geschafft und Berliner arbeitet weiter an der Entwicklung eines Schachprogramms auf Meisterniveau. Der große Wurf bleibt ihm jedoch verwehrt, aber einer seiner Schüler, Carl Ebeling, entwirft später den Schachcomputer HiTech mit einer Rechenleistung von 200.000 Zügen pro Sekunde, der 1988 den Großmeister Arnold Denker in einem Zweikampf bezwingt. Und sein Student Murray Campbell wird schließlich gemeinsam mit Feng-Hsiung Hsu das IBM-Programm Deep Blue entwickeln, das 1997 den Weltmeister Garry Kasparow in einem epochalen Wettkampf besiegt.

Berliner hat sich zeitlebens mit dem Schachspiel auf streng wissenschaftlichem Wege auseinandergesetzt. Als 1999 sein Buch "The System" erscheint, erregt es viel Aufsehen in der Schachwelt, tritt er darin doch mit der These auf, daß 1.d2-d4 der beste Eröffnungszug sei und Weiß in allen Varianten auf klaren Vorteil rechnen dürfe, ohne jedoch den klaren Nachweis dafür zu liefern. Mit seinem Tod, der eine große Lücke hinterläßt, verstummen auch seine Gedanken und Denkanstöße. Dennoch hat er dem Schachspiel neue Wege eröffnet und Konzepte hinterlassen, die vielleicht irgendwann wieder aufgegriffen werden.


9. Februar 2017


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