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SCHACH-SPHINX/04401: Winkel der Anonymität (SB)


Im 19. Jahrhundert war es einfach schick, wenn große Schachmeister in ihren Partien gegen schwächere Gegner eine Vorgabe leisteten. Das heißt, sie verzichteten auf Material und Züge, um so das Gefälle der Überlegenheit auszugleichen. Diese Variante der Publikumsbelustigung war im 20. Jahrhundert völlig verschwunden. Verdrängt wurde sie von der Massenabfertigung des Simultanschachs. Je nach Anreiz spielen dabei einige Hundert Laien gegen einen namhaften Meister. Da war das vorangegangene Jahrhundert etwas einfallsreicher gewesen. Der moderne Meister läuft sich die Hacken ab, und falls er ermüdet, mag er wohl einige Partien verlieren. Er spielt also vornehmlich gegen seine eigene Erschöpfung an. Ja, was waren das für Zeiten, als die Meister ihre Kunst noch dadurch hervorhoben, daß sie gar ankündigten, auf welchem Feld sie mattsetzen wollten. Doch auch das Handicap besaß seinen Charme. War der Unterschied in der Spielstärke gravierend, opferte der Maestro vor Beginn der Partie beispielsweise gleich einen Turm. Doch ein anderer Umstand hat sich im 20. Jahrhundert in diese Attraktionen eingeschlichen, nämlich die Anonymität. Früher saß man sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Heutzutage ist das ganze Vergnügen bestenfalls zu einem flüchtigen Blick degeneriert. Im heutigen Rätsel der Sphinx gab das amerikanische Schachgenie Paul Morphy seinen Damenspringer vor und belehrte den unbekannten Amateur darüber, daß Raum, Zeit und Masse nur Fiktionen, trügerische Blendwerke sind. Also, Wanderer, wie forcierte Morphy mit den weißen Steinen den Sieg?



SCHACH-SPHINX/04401: Winkel der Anonymität (SB)

Morphy - N.N.
New York 1857

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Diesmal gab es kein Entkommen für Dolmatow und auch keine erschlichene Chance. Nach 1...e6-e5? 2.f4xe5 Ld6xe5 3.c4-c5! b6xc5 4.Le3xc5 rollte der Racheakt, denn 4...Sd7xc5 verbot sich nun wegen 5.Td1xd8+ Dc7xd8 6.Df2xc5 und ein schwarzer Läufer geht verloren. Dolmatow, der ohnehin sichtlich nervös spielte - Reminiszenzen seines Gewissens? -, hoffte der Schlinge mit 6...Td8-e8 zu entgehen, was Gawrikow jedoch mit 7.Lc5- d6! Le5xd6 - 7...Dc7-d8 8.Ld6xe5 Te8xe5 9.Df2-d4 - 8.Tc1xc7 Ld6xc7 9.Se2-d4 Lc7-b6 10.Df2-h4 g7-g6 11.Kg1-h1 Sd7-f6 12.Sd4-c6 Kg8-g7 13.Td1-e1 Te8-f8 14.a2-a4 h7-h6 15.a4-a5 Lb6-c5 16.b3-b4 g6-g5 17.Dh4- c4 Lc5-f2 18.Te1-e7 Sh5-g3+ 19.Kh1-h2 Sg3-f5 20.Te7-e2 Lf2-g3+ 21.Kh2- g1 Lg3-f4 22.Dc4-c3 Lc8-d7 23.b4-b5! a6xb5 24.a5-a6 Lf4-c7 25.Dc3-c5 Lc7-d6 26.Dc5-b6 g5-g4 27.Sc6-d4! nicht mehr zuließ.


Erstveröffentlichung am 11. November 2000

04. Juni 2012