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SCHACH-SPHINX/04481: Kluft zwischen Spott und Vernunft (SB)


Der Wiener Meister Rudolf Spielmann war einer der größten Opferkünstler der Schachgeschichte, was ein wenig wunderlich klingt, bedenkt man, daß die sogenannte Wiener Schachschule, der er zugerechnet wird, einen durch und durch pragmatischen Stil mit risikoarmem Kalkül bevorzugte. Für Spielmann jedoch, der als einer der letzten Meister dem Königsgambit die Treue gehalten hatte, war die Anwendung des Opfers nicht bloß simple Effekthascherei. Seine Wertschätzung des Opfers als eines Mittels, das labile Wertgefüge einer Stellung zum eigenen Nutzen hin zu verschieben, rührte von der Überzeugung her, daß der hehre Anspruch exakter Berechenbarkeit zumal in einer Turnierpartie nie und nimmer eingelöst werden könnte. Sein halbwissenschaftlicher, weil auf Empirie gegründeter Ansatz, die Dynamik des Spiels aus der Sicht einer Opferkombination zu verstehen, führte ihn zu interessanten Fragestellungen. Im Widerspruch sah sich Spielmann auch zur Meinung der Altherrenriege, daß eine Partie nur schön genannt werden dürfte, wenn deren innere strategische Stichhaltigkeit gewährleistet sei: "Die Gewohnheit, den Wert einer Partie nach der 'Dicke' des Opfers zu beurteilen, wird in Fachkreisen gern bespöttelt. Das ist bis zu einem gewissen Grade verständlich, aber zugleich auch bedauerlich. Der Fachmann ist zu sehr in die Technik des Spiels eingedrungen, um die naive Freude der Menge teilen zu können. Er betrachtet das Schauspiel nicht vom Zuschauerraum, sondern von der Bühne aus. Er ist wohl auch ein wenig abgestumpft. Aber das Schachvolk hat sein frisches, natürliches Empfinden gewahrt und schwärmt nach wie vor für den Opferstil." Schnittig, sauber und spielmannstypisch endete auch seine Begegnung im heutigen Rätsel der Sphinx gegen Meister Tartakower. Mit den weißen Steinen fand Spielmann einen simplen wie auch schönen Gewinnzug. Viel Spaß beim Herumstochern, Wanderer!



SCHACH-SPHINX/04481: Kluft zwischen Spott und Vernunft (SB)

Spielmann - Tartakower
Marienbad 1925

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
1.Df5xh3? beschleunigte das Ende der ohnehin kritischen weißen Stellung. Nach 1...Db2xc3 2.Dh3-f5 Td4-e4! 3.Df5-f2 Dc3-d2 4.Th1-g1 Te4-e6 5.Tg1-g2 Te6-f6 6.Le2-f3 Te8xe1+ gab Meister Mieses die Partie auf.


Erstveröffentlichung am 08. Dezember 2000

23. August 2012