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SCHACH-SPHINX/04655: Bedenkzeitmanagement anno 1867 (SB)


Bedenkzeit ist kostbar. Man sollte mit ihr also nicht hausieren gehen. Verbraucht die Kopfarbeit zuviel Zeit, so wird aus dem Spiel zuletzt eine Blitzpartie, eingerechnet aller Flüchtigkeitsfehler und anderer Mesalliancen. In alten Tagen gab es für die Schachspieler eine Alternative zur Zeitnotmisere. Beim Turnier in Paris 1867, das von der Aristokratie unter der Schirmherrschaft Napoleons III. veranstaltet wurde, konnten die Meister der 64 Felder zu ihren zehn Zügen, die innerhalb einer Stunde vorgeschrieben waren, weitere Bedenkzeit kaufen, wenn sie ein Stellungsproblem besonders intensiv durchleuchten wollten. Sie mußten dafür allerdings tief in die Tasche greifen. Pro Viertelstunde zahlten sie 20 Francs. Nun hatte der Franzosenkaiser jedoch eine Majolikaschüssel im Wert von 5000 Francs gestiftet, zuzüglich einer Barschaft von 500 Francs. Eine Investition in die Zeit konnte sich also durchaus auszahlen. Man denke sich, wieviele Partien in den darauffolgenden Jahrzehnten hätten gerettet werden können. So jedoch fielen sie dem Zeitfraß zum Opfer. Beim Zeittarif hätten sich die Meister und die Veranstalter allerdings in die Haare bekommen. Eine Schachgewerkschaft wäre die zwingende Konsequenz gewesen. Spinnt man den Gedanken weiter, so tauchen vor dem inneren Auge Aufstände, Barrikadenstürme und Spielstreiks auf. Nicht auszudenken, was aus der noblen Schachkunst geworden wäre, hätte die französische Idee Schule gemacht. Und nicht zuletzt hätte die Geschichte der Schachturniere sicherlich eine Menge mehr Bankrotteure gekannt, reich an Bedenkzeit, doch, weil verjubelt, arm an Vermögen. Im heutigen Rätsel der Sphinx hätte auch alle Zeiterschleichnis der Welt Meister Szilagyi nicht vor dem Partieruin bewahren können, denn sein Kontrahent Rejfir mit den weißen Steinen zwang ihn bereits mit dem nächsten Zug zur Kapitulation. Also, Wanderer, wie bewahrte Weiß seinen Kontrahenten vor dem Bettelstab?



SCHACH-SPHINX/04655: Bedenkzeitmanagement anno 1867 (SB)

Rejfir - Szilagyi
Prag 1955

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Tarrasch übersah eklatanterweise das Hineinziehungsopfer 1.Lc4xf7+! Kg8xf7 2.Sd4-e6! Nun hätte 2...Kf7xe6 3.Dd1-d5+ Ke6-f6 4.Dd5-f5# geradewegs zum Matt gefüht, weswegen der große deutsche Lehrmeister lieber nach 2...Sd7-e5 3.Dd1-h5+ Kf7-g8 4.Se6xd8 Te8xd8 5.Sc3-d5 aufgab.


Erstveröffentlichung am 02. Februar 2001

14. Februar 2013





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