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SCHACH-SPHINX/05057: Klischee vom Weltfluchtgedanken (SB)


Eine besondere Art von Anekdoten hat die unterstellte Gleichgültigkeit der Schachspieler hinsichtlich weltlicher Belange zum Thema. Nun kann man nicht gänzlich ausschließen, daß sie in der erzählten Form auch tatsächlich so stattgefunden haben. Im Kern sind jedoch Zweifel am Wahrheitsgehalt angeraten, da sie zuweilen in arg bissiger Weise ein Klischee wiedergeben, nämlich das des Weltfluchtgedankens in den Köpfen der Schachspieler. Im Dezember 1941, als über den Globus der Zweite Weltkrieg tobte, saßen in gewohnter Manier, so heißt es, die Mitglieder des Manhattan Chess Clubs an ihren Tischen und ergötzten sich am Schachspiel. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und ein älterer Herr stürzte mit hochrotem Kopf in den Raum und rief mit vor Erregung kaum zu bändigender Stimme: "Die Japaner bombardieren Pearl Harbor!" Statt, wie es patriotischer Gesinnung obliegen müßte, von den Stühlen aufzuspringen und einen Tumult darüber zu entfachen, was nun zu geschehen habe, blieben die Herren Schachspieler völlig ungerührt, und nicht wenige unter ihnen begegneten der Ruhestörung gar mit recht ungehaltenen Worten. Völlig vor den Kopf gestoßen und unfähig, die Gelassenheit zu verstehen, mit der die Schachmeister sich wieder über ihre Bretter beugten, verließ der Patriot die Räumlichkeit und kehrte in den Manhatten Chess Club nie mehr zurück. Diese Geschichte scheint, so nahtlos sie sich auch ins landläufige Charakterprofil eines Schachspielers fügt, allzu sehr an den Haaren herbeigezogen zu sein. Die Angst, in den Weltkrieg hineingezogen zu werden, was dann nach dem Bombenüberfall auf Pearl Harbor in der Tat geschah, grassierte damals auch in den Köpfen der Manhatten-Schachspieler. So ist es wohl ratsam, die Anekdote ins Reich der Fabeln zu verweisen und somit zum heutigen Rätsel der Sphinx und damit zur Frage zurückzukehren, mit welcher Glanzkombination der holländische Großmeister Jan Timman den weißen König mattsetzte. Also, Wanderer, vier Züge, darunter zwei mit Ausrufezeichen, müssen gefunden werden!



SCHACH-SPHINX/05057: Klischee vom Weltfluchtgedanken (SB)

Torre - Timman
Fernpartie 1982

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Unser unbekannter Schachfreund Moraza erwischte den Bulgaren Inkjov mit dem glänzenden Springeropfer 1.Sd4xe6! Die Pointe steckte jedoch nach 1...f7xe6 im ausgeklügelten Damenmanöver 2.Dh4-h7!! Da der schwarze Springer auf d7 wegen der ungedeckten schwarzen Dame nicht ziehen konnte, mußte Inkjov zu 2...Sg6-f8 greifen, aber nach 3.Dh7- h5+! Ke8-d8 4.Dh5-g5+ Sd7-f6 - 4...Kd8-e8 5.Le2-h5+ - 5.Dg5xf6+ Dc7-e7 6.Td1xd6+ Lc8-d7 7.Df6xe7+ Kd8xe7 8.Td6-d1 Sf8-g6 9.Td1-h1 Sg6-e5 10.g2-g4 war das weiße Übergewicht so entscheidend, daß Meister Inkjov nach einigen belanglosen Zügen aufgab.


Erstveröffentlichung am 13. Juni 2001

23. März 2014





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