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SCHACH-SPHINX/05365: Scholastische Wortklauberei (SB)


Mystizismus ist eine typisch europäisache Krankheit des Geistes. Wo die Dinge auf ihre Wurzeln, Zusammenhänge und Ursprungsmotive nicht ergründet werden können, weicht der fragende Geist nur allzu gern in einen Bereich des Diffusen aus. In der Kunst der Wortverwirrung war dies am schädlichsten in der Verdunkelung einfachster Lebenserfahrungen. Scholastische Wortklauberei wurde dafür zum stehenden Begriff. "Weil sich Gott in der Welt nicht offenbart", so ein Religionskritiker, "erfand der Mensch die Natur als den Garten Gottes". In dieser Art und Weise des sich im Kreise Drehens schufen sich auch die wenigen Schachphilosophen, die die Geschichte hervorbrachte, eine Welt voll der unergründlich mystizistischen Allegorien. Ohnehin stand die Philosophie des Schachs auf tönernen Füßen. Ihr fehlte der begriffliche Rahmen, und so sammelten sie sich in ihrer Not ein im wesentlichen aus geisteswissenschaftlichen Disziplinen zusammengestohlenes Plagiatwissen zusammen. Man könnte ebensogut eine Philosophie vom Verzehr des Karottensalats schreiben. Schach als Philosophie entstand aus dem Zwang brotloser Kathedergelehrter, die weder das Spiel richtig begriffen noch als Wahrheitssucher einen Namen besaßen, um im wackligen Gebäude sinn- und daseinsorientierter Anerkennung einen Platz zu behaupten. Einer ihrer verwegensten Köpfe hieß W. Junk, sein epigonenhafter Schatten war Fritz Siebert. Vom Standpunkt einer selbstverliebten Wortpoesie betrachtet, hatte es Siebert am "dollsten" getrieben, während Junk sich zumindest um objektiven Sachverstand bemüht hatte, darin jedoch kläglich scheiterte. Schach war für Junk "so, als ob der Mensch irgend ein neues Stern-System außerhalb des unsrigen sich künstlich verfertigt und nun seinem Geiste die Aufgabe gestellt hätte, die Regeln zu ergründen, nach welchen die Gebilde dieser künstlerischen Laune kreisen müssen. Astronomisches Denken, angeregt durch künstlerische Intuition. Rein menschliche Schöpfung, geeignet - im Gegensatz zu allen anderen solchen - für menschliche Forschung. Von Phantasie Geschaffenes und doch Gegenstand schärfster Konzentration. Am ehesten noch ähnelnd einer abwägenden diskursiven Untersuchung der Schritte, die von dem Flug-Ende einer genialen Intuition zu ihrem Ausgangspunkt zurückgleiten. Nichts Gleichartiges gibt es in der menschlichen Kulturgeschichte." Emanuel Lasker machte es sich da einfacher und war zugleich treffender in seinem Wortwitz als hundert Seiten Junk und Siebert zusammengewürfelt: "Sofern der Geist über die Materie siegt, sind wir entzückt." Und damit Ende der Debatte über eine Schachphilosophie, der noch der Spiegel der Erkenntnisreflexion fehlt. Auch unserem Schachfreund Sheljandinow gingen im heutigen Rätsel der Sphinx schließlich die Erklärungen für seinen schachlichen Tiefflug aus. Mit den weißen Steinen hatte er sich vordergründig eine brauchbare Stellung aufgebaut, hintergründig pfiff jedoch ein schauriger Wind in seine Königsburg hinein. Wie wurde also das philosophische Licht des weißen Königs ausgeblasen, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05365: Scholastische Wortklauberei (SB)

Sheljandinow - Wyschmanawin
Tallinn 1982

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Natürlich fiel Meister Trojanescu nicht auf die plumpe Falle herein und vergriff sich etwa am dargebotenen Springer, denn nach 1.Td1-e1+ Ke5-f4 2.Te1xe6? hätte ihm 2...Tg4-g1+ den Sieg gekostet, der jedoch nach 2.Lc2-d1! gut und gerne zu erringen war. Nur eine kleine Hürde mußte Meister Trojanescu nach 2...Tg4-g3 3.Te1xe6 Tg3-d3 noch nehmen, und zwar mit 4.Te6-e4+!!, worauf Meister Soos sofort aufgab: 4...Kf4xe4 5.Ld1-c2 oder 4...Kf4-g3 5.Te4-e3+! und 4...Kf4-f5 5.Ld1-c2 Td3xd7 6.Te4-e7+


Erstveröffentlichung am 19. Februar 2002

25. Januar 2015





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