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SCHACH-SPHINX/05415: Zeitschlinge (SB)


Kein Gott wütet schlimmer unter den Menschen als die Zeit. Von den Uhren am Handgelenk, von tapezierten Zimmerwänden, Korridoren, Straßenkreuzungen, Marktplätzen schaut sein Auge auf uns herab, und wohin man auch flüchtet, seine Finger krallen sich um unsere Füße und bringen uns zu Fall. Von klein auf lernen wir, seiner Melodie zu folgen. Abgezirkelt wie das Leben beherrscht die Zeit auch die Gedankenwelt. Nur zu bestimmten Tageszeiten scheint unser Hirnkasten aus seiner dämmerigen Lethargie erwachen zu wollen. Wir nennen es dann "Anforderung", wenn wir in der Arbeitswelt oder auf Universitäten ein Grundmaß an intelligenter Denkleistung erbringen. Aber neben der Arbeitszeit teilt der Dämon der Getriebenheit uns auch die Sphäre der Freizeit zu, wo wir nicht nur Erbauliches lesen, Nettigkeiten im Fernsehen anschauen, sondern auch unsere individuelle Leidenschaften pflegen. Nun, das Schachspiel gehört mit Sicherheit nicht minder zu den Vergnügungen der Freizeit wie das Spazierengehen oder das Lösen von Kreuzworträtseln. Doch zur rechten Freude will man auch beim Schachspiel nicht kommen. Auch hier schielt der Zeitdämon hinter verborgenen Winkeln hervor, grient, schneidet Grimassen, lacht sich ins Fäustchen. Schließlich steht neben jedem Schachbrett ein kleines Kästchen und gebietet über uns gleich einem Tyrannen. Die Rede ist von der Schachuhr, die den Freiraum der Gedanken im Kopf begrenzt und behindert. Wie viele Partien, die zu Perlen der Schachkunst hätten aufglänzen können, wurden schon das Opfer seiner Ungeduld. Zeitnotdramen nennt man diese geschundenen Partie-Ruinen. Auch auf dem Gebiet des Fernschachs ist dieser Dämon zu Hause, wenngleich dem Menschen hier eine längere Spanne zum Nachsinnen bleibt. Trotzdem hatte sich unser Schachfreund Jandran im heutigen Rätsel der Sphinx zu Beginn der Partie zuviel Zeit gelassen und kam in der Diagrammstellung arg in Zeitnot-Kalamitäten. Als er nunmehr in aller Eile den arglos aussehenden Zug 1.Lg2xe4? spielte, war der lachende Dritte in diesem Spiel der Zeitklau-Dämon. Also, Wanderer, was folgte mit katastrophalen Folgen?



SCHACH-SPHINX/05415: Zeitschlinge (SB)

Jandran - Sagorowski
Fernpartie 1981

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Wer den Teufel ruft, so sagt das abergläubische Sprichwort, dem erscheint er auch und nach 1...Lc6-d7? meldete sich der Leibhaftige sogar in seiner ganzen Bösartigkeit zu Wort, nämlich durch 2.Td1xd7!, worauf die Folge 2...Tc7xc3 3.Tc1xc3 nicht nur gehässig, sondern auch vernichtend für Schwarz gewesen wäre. Da 3...Tc8xc3 an 4.Td7-d8# scheiterte, blieb nur noch 3...Db7-b8 - da auch 3...Db7-a6 wegen 4.Lg4- e2! nicht geholfen hätte -, doch nach 4.Td7-b7! Db8xb7 5.Tc3xc8+ stand das Endspiel hoffnungslos und Schwarz gab rechtzeitig auf.


Erstveröffentlichung am 08. April 2002

16. März 2015


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