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SCHACH-SPHINX/05425: Vom Zwerg zum Riesen erwachen (SB)


Trägheit, umfassend und zermürbend, steht am Anfang einer jeden Niederlage. Darauf spezialisiert, den einfachsten Weg zu wählen und die Klippen der Schwierigkeiten mit weitreichender Konsequenz zu umschiffen, hat der Mensch von Kindesbeinen an nur die Bequemlichkeit kultivieren gelernt. Auch in den Schulen des Geistes schleppt sich diese Haltung fort. Man erfüllt Standards, bestenfalls folgt man einem Hobby ein paar Schritte weiter, doch die Entschiedenheit, den konventionellen Rahmen zu verlassen, freie Luft zu schnappen und vom Zwerg zum Riesen zu erwachen, diese Bereitschaft wird mehr und mehr in das hinterste Eck des Gemüts geschoben, bis man sogar vergessen hat, daß es eine andere Qualität als die der Gewohnheit gibt. Und so ist selbst der kühnste Gedankengang angekränkelt von der Aussicht, sich bald wieder ins warme Bett des Althergebrachten, der großen Übereinkunft aller Menschengeister legen zu können. Auch John Dewey stieß bei seinen Untersuchungen der menschlichen Gemütsart auf diesen Umstand: "Ist die Freiheitsliebe jemals etwas anderes als der bloße Wunsch, von irgendeinem besonderen Hemmnis befreit zu werden? Und ruht der Freiheitsdrang, sowie dieses Hemmnis gefallen ist, bis zu dem Zeitpunkt, da wieder etwas anderes als unerträglich empfunden wird." Die Unterschiede zwischen den Menschen, so fand er heraus, rühren weniger von angeborenen Talenten, Erziehungshintergründen oder tatsächlichen gesellschaftlichen Bedingungen her als vielmehr von der leidigen Observanz, nie mehr zu tun, als der Augenblick unbedingt erfordert. Dieses Versteckspiel der Seele vor den Unannehmlichkeiten des Lebens ist die eigentliche Fessel des promethischen Menschen. So nennen wir jene Menschen genial oder begnadet, die den Marterfelsen des Erträglichen, Gewöhnlichen verlassen und auf Wanderschaft gehen. Ein solcher unermüdlicher Forscher war auch der dänische Großmeister Bent Larsen. Er liebte es, Eröffnungsprobleme lange und gründlich zu entwirren, um dann seine Großmeistergegner in Turnieren zu überraschen. Mit dieser sattelfesten Einstellung hatte er gegen den Ungarn Szabo mit den weißen Steinen schließlich die vorliegende Diagrammstellung erreicht. Mit dem nächsten Zug beendete er die Partie im heutigen Rätsel der Sphinx auf unverkennbar Larsensche Weise, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/05425: Vom Zwerg zum Riesen erwachen (SB)

Larsen - Szabo
Amsterdam 1969

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Hätte sich Meister Symslow nicht durch die Drohung 1...De5-f4+ 2.Kg4- h3 Sd3-f2# irritieren lassen, nie hätte er dann die Remisfolge 1.Dd5xd3?! c4xd3 2.d7-d8D De5-e2 3.Kg4-h3 d3-d2 4.Dd8-d7 d2-d1D 5.Dd7- f5+ gewählt, sondern mit dem einfachen 1.Dd5-d6! gewonnen.


Erstveröffentlichung am 16. April 2002

26. März 2015


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