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SCHACH-SPHINX/05449: Rot-weiß-blaue Befangenheit (SB)


Was steckt dahinter, wenn ein Schachmeister bei einem Turnier stets im selben Outfit erscheint, noch dazu in einer solch scheußlichen Kreation, daß sich einem die Augen verdrehen möchen? Aufmerksamkeit hatte der russische Meister Rafael Waganjan jedenfalls erzielt, als er 1985 beim Interzonenturnier in Biel 18 Tage lang immer nur mit einem rot-weiß-blau gestreiften Hemd und blauer Hose zu den Partien antrat. Am Anfang hielt man es für einen Gag. Vielleicht hatte Waganjan einen Werbevertrag mit einem Textilhersteller abgeschlossen? dachten sich einige. Die anderen gingen davon aus, daß Waganjan früher oder später mit anderer Kleidung zu den Spielen kommen würde. Aber beide Fraktionen irrten. Selbst in den spielfreien Tagen - dieselbe Leier, will sagen: Kleidung. Rot-weiß-blau gestreift oben und blau unten, tagein, tagaus, tagaus, tagein. Offenbar hatte sich Waganjan einen ganzen Koffer voll von diesen "geschmacklosen" Hemden mitgebracht. Wir wollen nicht glauben, daß es immer nur dasselbe Hemd und dieselbe Hose waren. Einigen Meistern kam die Sache dennoch merkwürdig vor. Vielleicht benutzte er viel Parfüm? so die unanständigen Denker. Wie dem auch sei, Waganjan hatte mit seiner Kluft alle in seinen Bann geschlagen, obgleich er sich während der Partien völlig "nebensächlich" benahm, als sei er die Unschuld selbst. Und doch, als die letzte Runde des Turniers ausgespielt war, belegte Waganjan mit deutlichem Vorsprung den ersten Tabellenplatz und rückte seinerzeit auf den vierten Platz in der Weltrangliste vor. Man ahnt etwas, nicht wahr? In der Tat, der papageienhafte Auftritt hatte Wirkung bei seinen Turnierkonkurrenten hinterlassen. Auf eine subtile, psychologische Art hatte Waganjan mit seiner geckenhaften Erscheinung dafür gesorgt, daß seine Gegner irgendwie befangen gegen ihn spielten. Einen solchen Trick benötigte der amerikanische Meister McCambridge hingegen nicht, um seinen russischen Kontrahenten Romanischin zu besiegen. Im heutigen Rätsel der Sphinx hatte Letzterer gerade 1.Te1-e5 gespielt, was brauchbar aussieht, jedoch völlig daneben ist. Warum, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05449: Rot-weiß-blaue Befangenheit (SB)

Romanischin - McCambridge
Dortmund 1982

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Die Stellung sah nur auf dem ersten trüben Blick ausgeglichen aus, und Meister Illescas fand auch heraus, wie sich der weiße Vorteil siegbringend zu einer kleinen Kombination ummünzen ließ, nämlich mit 1.Sc3xb5+! a6xb5 2.Tc1-c6+ Kd6-e7 - 2...Kd6-d7 3.Tc6xg6! nebst 4.Le2xb5+ - 3.Tc6-e6+ Ke7-d8 4.Te6xe8+ Kd8xe8 5.h4-h5 und Schwarz gab das aussichtslose Endspiel auf.


Erstveröffentlichung am 10. Mai 2002

19. April 2015


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