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SCHACH-SPHINX/05472: Bar jeder Vernunft und Übereinkunft (SB)


Weisheit, gepaart mit Gerechtigkeit, unbefleckt von Selbst- und Habsucht, ohne Neid guter Dinge zu sein, nicht die Regung in sich zu verspüren, größer scheinen zu wollen, als man ist, ehrbar, bescheiden, geziemend in Geste und Gebärde, nur sich selbst gegenüber hart und voreingenommen, wo es darum geht, die Freiheiten seines nächsten vor der Willkür des Gewaltsamen zu verteidigen - so ideal und selbstlos im Glück der anderen aufgehend stellten sich die Utopisten einer menschlich-freien Gesellschaft ihren König vor, ohne den offenbar auch die kühnsten Köpfe in ihren Konzepten nicht auskommen konnten. Schließlich mußte die Verantwortung für den Erhalt eines solchen glückseligen Zustandes in die Hände eines weise Regierenden gelegt werden. Das Volk der antiken Griechen hatte in Sokrates einen Lehrer solcher Ideale und anderer Dinge mehr. Eines Tages wurde er nach der Kunst des weisen Regierens befragt. Sokrates entgegnete, daß unter den vielen Staatsmännern kaum einer sei, der die Regeln dieser Kunst befolge: "Denn wir wissen ja, daß unter tausend Männern nicht so viele vor den übrigen in Hellas sich auszeichnende Brettspieler gefunden werden, geschweige denn Könige. Denn wer die königliche Kunst besitzt, den müssen wir, er mag nun regieren oder nicht, auch nach unserer vorigen Rede doch immer König nennen." Um Mißverständnisse gleich im Vorfeld auszuschließen, mit den Brettspielern meinte Sokrates keine Schachspieler, denn obgleich in den vorigen Jahrhunderten weniger gewissenhafte Historiker immer wieder die Behauptung aufstellten, daß das Schachspiel bereits in der Zeit der europäischen Antike bekannt gewesen sei, so bezog sich Sokrates mit dem Brettspiel nachweislich nicht auf das Schachspiel. Es ist dennoch von höchstem Interesse, daß Sokrates die Tugend eines Brettspielers im selben Atemzuge mit der eines weisen Königs nennt. Wäre die Politik nicht ein so undurchdringlicher Sumpf, regellos und von geringer Skrupelhaftigkeit, bar jeder Vernunft und Übereinkunft, die Besonnenheit vieler Schachspieler wäre wohl geeignet, den Intrigenwald ein wenig zu lichten. Schrecklich verwirrend schien die Stellung auch für den bulgarischen Meister Berowski zu sein, denn als sich ihm die Möglichkeit bot, mittels 1...d5-d4? auf Raub auszugehen, verlor er nicht nur die Besonnenheit, sondern auch die Partie. So löse dies heutige Rätsel der Sphinx, Wanderer, auf daß deine Weisheit zunehme!



SCHACH-SPHINX/05472: Bar jeder Vernunft und Übereinkunft (SB)

Ninow - Berowski
Bulgarien 1995

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Meister Gofstein hatte den offenen Spanier ziemlich schlecht behandelt, nur so läßt sich die Anfälligkeit der weißen Figuren erklären. Jedenfalls nahm Meister Mikhalevski nach 1.h4-h5 Dc6-c1! 2.Dd4-d3 Te7-d7! eine äußerst vorteilhafte Abwicklung vor, die ihm nach einer weiteren kleinen, hübschen Endspielkomposition den Sieg einbrachte: 3.Dd3xd7 Dc1xf1+ 4.Kh1-h2 Df1-f4+ 5.g2-g3 Df4xg5 6.h5xg6 h7xg6 7.Dd7-d3 Kg8-g7 8.Kh2-g2 Kg7-h6 9.Dd3-d8 Dg5-g4 - es drohte schließlich Matt - 10.Dd8-d2+ Kh6-h5 11.Dd2-d5+ f6-f5 12.Dd5-d8 Dg4- e4+ 13.Kg2-h2 b2-b1D und Weiß gab auf.


Erstveröffentlichung am 02. Juni 2002

12. Mai 2015


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