Wer Eröffnungsvarianten spielt, muß sich vor Fallen in acht nehmen. Ein unbedachter Zug in einer scheinbar friedfertigen Stellung und schon schnappt die Falle zu. Die wenigsten Eröffnungs-Reinfälle erhalten Weltruhm. Aber es gibt auch Ausnahmen, wie zum Beispiel die Dresdner Falle, in die der österreichische Meister Marco in seiner Partie gegen Siegbert Tarrasch hineinstolperte. Gespielt wurde die Partie beim Turnier des 7. Deutschen Schachkongresses in Dresden 1892. Tarrasch spielte spanisch und die Partie entwickelte sich wie folgt: 1.e2-e4 e7-e5 2.Sg1-f3 Sb8-c6 3.Lf1-b5 d7-d6 4.d2-d4 Lc8-d7 5.Sb1-c3 Sg8-f6 6.0-0 Lf8-e7 7.Tf1-e1 0-0? Tarrasch war richtiggehend überrascht, denn bereits anderthalb Jahre zuvor hatte er in der "Deutschen Schachzeitung" in aller Ausführlichkeit kundgetan, wie die verfrühte Rochade - nötig war 7...e5xd4 mit passablem Spiel für Schwarz - zu widerlegen sei. Vier Minuten dachte Tarrasch nach, um sich an die Einzelheiten seiner damaligen Analyse zu erinnern. Schwarz verliert bei bestem Spiel mindestens einen Bauern. Kannst du das heutige Rätsel der Sphinx knacken, Wanderer? Bedenke die Worte von Tarrasch: "Nicht der bessere Spieler gewinnt, sondern die bessere Variante!" Nun kann man über diesen Punkt sicherlich geteilter Meinung sein. Unter einem Gesichtspunkt hatte Tarrasch jedoch recht: Wer Eröffnungsfallen nicht kennt, kommt um ihre Bekanntschaft nicht herum.
Tarrasch - Marco
Dresden 1892
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Siegbert Tarrasch schrieb später über seinen Gewinnzug 1...g6-g5+!:
"Eine schöne Doppelwendung im Stile der modernen Studienkomposition;
schlägt der König den Springer, so gibt die Dame auf c3 ein ganz
reines Matt." Das hatte auch sein Kontrahent Lasker gesehen, weswegen
er auch 2.Kf4xg5 vorzog, doch schon nach 2...Se5-f7+! gab er sich
sofort geschlagen, denn so oder so hätte er seine Dame verloren:
3.Ld5xf7 Dd3xd6
Erstveröffentlichung am 13. Juli 2002
22. Juni 2015
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