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SCHACH-SPHINX/05602: Judith und Holofernes (SB)


An Absurdität lassen sich insbesondere gegengeschlechtliche Vorwürfe kaum noch überbieten. Sie schlafen unter einer dünnen Decke, und selbst der aufgeklärteste Freigeist findet sich plötzlich in der Menge gröllend wieder, wenn er sich an seiner Männerehre gepackt fühlt. Frauen schießen den Pfeil des Spottes versteckter ab. Ihr Raubzug ist ein Stehlen mit Augenaufschlag und Sommersprossenlächeln. Im Nachklang des Feminismus können sie zumindest im intellektuellen Bereich auf erprobte Argumente setzen. Der Mann hingegen fürchtet nichts mehr, als daß die letzte Bastion seines Alleinvertretungsanspruchs fällt. Im Schach hoffte er, eine ewig wehende Standarte aufgepflanzt zu haben. Was eignete sich also besser, als ihm fraulicherseits "Männerbündelei" vorzuwerfen! Der Konter kam erwartungsgemäß. Aller Stolz der Männer scharte sich um ihren Götterboten Hermes: Garry Kasparow. Und als aus dem Lager der Schachamazonen die junge ungarische Großmeisterin Judit Polgar sich gegenüber der Männerwelt gebärdete wie weiland Judith gegenüber Holfernes, da griff Hermes-Kasparow ein und schwang seinen Wanderstab: "Es gibt zwei Arten vonSchach: das wahre Schach und das Schach der Frauen. Schach ist ein unerbittlicher Kampf. Das ist nichts für Frauen." Die Wunde der Zerrissenheit heilt wohl auch in tausend Jahren nicht, solange der Mensch es nicht lernt, sich nicht in Geschlechtern getrennt zu denken. Aber nun zurück zum heutigen Rätsel der Sphinx, die schiere Unausrottbarkeit der Vorurteile soll nicht das Thema sein. An der "Perle von Saint John" wollen wir unser Auge erfreuen. Meister Gulko war mit den schwarzen Steinen am Zuge und brillierte dank einer unbestechlichen Grundreihenkombination. Also, Wanderer, geschlechtsunspezifisch gedacht: Warum gab Meister Georgiev nach zwei Zügen auf?



SCHACH-SPHINX/05602: Judith und Holofernes (SB)

Georgiev - Gulko
Saint John 1988

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Nie schmeckt das Levitenlesen dem Belehrten, und so machte auch der sowjetische Meister Jaan Ehlvest eine säuerliche Miene, als sein Kontrahent Artur Jussupow ihm mit 1.e5-e6! f7xe6 2.Lb3xe6+ Kg8-h8 3.Le3-d4+ Se8-f6 4.Ld4xf6+ die Zeichen der Niederlage auf die Stirn schrieb. Ehlvest gab auf, denn auf 4...Tf8xf6 hätte 5.Tc1-c8+ in zweierlei Fällen bequem gewonnen: 5...Tf6-f8 6.Dd7-d4# oder etwas langatmiger 5...Lb4-f8 6.Tc8xf8+ Tf6xf8 7.Dd7-d4+ Tf8-f6 8.Dd4xf6#


Erstveröffentlichung am 08. Oktober 2002

19. September 2015


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