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SCHACH-SPHINX/05648: Wunschlos dumm (SB)


Goethe war ein Naturfreund und Schmied dichterischer Verse. Was ihm zuwiderging und ihn heute unstrittig zu einem waschechten Vertreter der Öko- und Gesundheitsbewegung gemacht hätte, war seine Abneigung gegen Zigarren und Schachspiel, künstliche Auswüchse also an Leib und Seele: "Ich habe immer genug Zeit gehabt, denn ich habe nicht Zigarren geraucht und nicht Schach gespielt." Eine artige Rede in den Ohren aller Zivilisationsmüden und Kulturpessimisten. Unzweideutig und unzweifelhaft, allein man fragt sich, woraus für ihn das Ventil bestand, um diesen inneren Widerspruch und Überdruck zu entlasten? Schöne Worte helfen in geselliger Runde weiter, denn wer gäbe sich nicht gern als Weltmann aus. Bloß, in der Einsamkeit der Gedanken gibt Sonnenschein, Glück und Entzücken nicht viel her. Man lebt gesund, doch wozu dieser Diätenstreß, dieses Naturbewandern? Das Auge zu erfreuen am zarten Lilienhals? Sich auszuruhen am schroffen Felsenrücken? Die Zweigeteiltheit zwischen Natur und Zivilisation, hier das Urwüchsige, dort der Krüppelwuchs, war schon immer der entscheidende Fehler gewesen, der die Kräfte aufsplitterte, bis zuletzt als einziger Anlaß des Wetterns gegen den Verfall der Sitten der Vorwurf bleibt. Schließlich muß ja irgendeiner daran schuld sein, daß sich die Gänseblümchen sträuben, aus ihren Blüten zu duften. Schach ist Natur - verfeinert! Eine provokante These? Nur logisch zu Ende geknüpft! Goethe mag in vielem Recht gehabt haben, vom Schachspiel und Zigarrenrauchen verstand er allerdings nichts. Wozu nämlich sonst seine Zeitklauberei in Fragen des Geschmacks? Wer wollte sich schon damit zufriedengeben, wunschlos dumm zu sein. Jedenfalls nicht unserer Schachfreund Rott, der zuletzt mit dem Springeropfer 1.Sd4xe6! der schwarzen Stellung auf den Zahn gefühlt hatte. Sein Kontrahent Daneker nutzte die Gelegenheit zum Straucheln und zog im heutigen Rätsel der Sphinx 1...Dc7-c6? Nun an dich die Frage, Wanderer, ist der Gedanke künstlich oder Natur, oder anders gefragt: Wie widerlegt man solch ein Damenmalheur?



SCHACH-SPHINX/05648: Wunschlos dumm (SB)

Rott - Daneker
Fernpartie 1973

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Spielmann spielte famos; und gar nicht dumm ließ er sich von der Falle nach 1.c3-c4 nicht irritieren, denn 1...b5xc4? wäre ihm in der Tat nicht gut bekommen: 2.Ld3xc4! La7xe3+ 3.Kd2xe3 Dc7xc4 4.Td1-d8+ Kg8-f7 5.De2-h5+ und Matt im nächsten Zug. Der weiße Königsläufer störte, also weg mit ihm. Spielmann zog darum 1...Le4xd3! und entschied nach 2.Kd2xd3 Tc8-d8+ 3.Kd3-c2 La7xe3 4.Td1xd8+ Tb8xd8 5.De2xe3 Dc7xc4+ 6.De3-c3 Dc4-e2+ 7.Kc2-b1 Td8-d1+ 8.Kb1-a2 De2-f1 9.Tb2-c2 - 9.Tc2-d2? Df1-c4+ - 9...h7-h6 10.g2-g3 Kg8-h7 11.Dc3-b2 Df1-d3 12.Db2-c3 Dd3-d5+ 13.Ka2-b2 Td1-d3 14.Dc3-c5 Dd5-b3+ 15.Kb2-c1 Db3xa3+ die vortrefflich arrangierte Partie für sich.


Erstveröffentlichung am 23. November 2002

04. November 2015


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