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SCHACH-SPHINX/05653: Keimling der Seele (SB)


In dunklen Schattennischen, unbeachtet von der Welt, begann in Deutschland um die Mitte des 19. Jahrhunderts das Schachleben Form anzunehmen. In den ersten bürgerlichen Klubs fanden sich die Vertreter aus Kunst, Literatur, Wissenschaft und Militär zusammen, ein bunt zusammengewürfelter Haufen also, um die deutsche Seele, die nach Tiefgang dürstete, in das Königliche Spiel einzupflanzen. Später, mit der Internationalisierung des Schachspiels durch die Turnierwettkämpfe, übernahm der Gymnasialprofessor Adolf Anderssen die Wort- und Tatführerschaft nicht nur in Deutschland, sondern im gesamten europäischen Raum. Bis dahin hatten sich die Deutschen durch ihre Dichtung hervorgetan. Die Zitadelle der Logik und des pragmatischen Verstandes stand dagegen in England. Und doch brachten Anderssen und seine Nachfolger im Geiste den englischen Thron, unerwartet für alle, zum Umsturz. Was waren die Gründe dafür? Es hat den Anschein, daß in der dichterischen Tradition und ihrer Gedankentiefe die Wurzel schon wuchs, aus dem dann der Baum der Schachkunst in hundertfältigen Verästelungen emporsteigen sollte. Detail und Präzision, Lasker nannte dies den Glauben "an die Macht des Geistes und die Macht von ethischen Grundsätzen", schufen wie Verse in einem Dichterwerk das Charakteristikum deutschen Schachbeginnens. Das war kein dumpfbackenes Vaterlandsgetue oder eine verklärende Romantik, sondern Hinwendung zum kulturspezifischen Hintergrund eines Volkes, das im Schachspiel nur die eigene Seele zum Ausdruck brachte. Der Erfolg gab diesem Streben recht. Von 1851 bis 1921 blieb diese Phalanx undurchbrochen. Im heutigen Rätsel der Sphinx, die Partie stammt aus dem Karlsbader Wettkampf von 1911, gelang Richard Teichmann sein größter Turniererfolg. Gegen Karl Schlechter, der kaum zu bezwingen war, brillierte er als Führer der weißen Steine mit einer prächtigen Gewinnkombination. Also, Wanderer, was trug sich seinerzeit in Karlsbad zu?



SCHACH-SPHINX/05653: Keimling der Seele (SB)

Teichmann - Schlechter
Karlsbad 1911

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Die Kombination, die spätere Generationen zur Nachahmung reizte, begann mit 1.Sg4xh6+ g7xf6 2.Dc3-h8+!! Das Matt war erzwungen: 2...Kg8xh8 3.Ke7-f7! Tb8-f8+ 4.Kf7xf8 e2-e1D 5.Lh4-f6# Auch die Ablehnung durch 1...Kg8-h8 hätte das Matt nicht verhindert: 2.Sh6-f7+ Kh8-g8 3.Dc3xg7+!! Kg8xg7 4.Lh4-f6+ Kg7-g8 5.Sf7-h6#


Erstveröffentlichung am 28. November 2002

09. November 2015


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