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SCHACH-SPHINX/05677: Zuerst ein Opfer und dann der Raub (SB)


Morgenstund' hat Blei im Mund; diese parodistische Umschreibung des alten Sprichworts von dem Golde der Morgenfrühe paßt besser zur Gemütsart vieler Schachspieler. Analysearbeit zieht sich bisweilen bis in die Puppen hin. In den Tagesstunden nehmen unumgängliche Verpflichtungen den Meister so sehr in Anspruch, daß ihm in der Tat nur die Nacht bleibt, um sich ungestört ans Brett setzen zu können. Daher sind Turniere mit grausam frühen Spielzeiten für viele Meister ein geradezu unmenschliches Greuel. Dann pflegen sie in häßlicher Regelmäßigkeit zu verlieren, oder aber die Partie wird, wenn sich zwei Leidensgenossen treffen, frühestmöglich Remis gegeben, und ab geht's unter die warme Bettdecke. Zu den Morgenvögeln zählte insbesondere der dänische Großmeister Bent Larsen nicht. Wo ihn der Hahn doch aus dem Bett krähte, da spielte er weit unter Niveau und verpatzte selbst Partien im sicheren Remisgleise, wie zum Beispiel bei der Dänischen Meisterschaft von 1979, wo er den Turniersieg vergab, weil er viel zu früh wieder auf die Beine mußte. Sein noch verschlafener, traumbenetzter Blick hatte die Stellung einfach falsch eingeschätzt. Auch 1991 endete die Dänische Meisterschaft für Larsen mit einem Fiasko. Vor den beiden letzten Runden führte er das Klassement an, doch dann fielen die restlichen Partien in den nebligen Morgen. Larsen, der sich in sein Bett zurückwünschte, spielte grauer und farbloser als der morgendliche Tau und landete nach zwei Niederlagen auf dem dritten Platz. Als die Spiele zu Beginn des Turniers noch zu christlicher Mittagszeit stattfanden, da sah man den Drachentöter Larsen, wie er mit einem kraftvoll schwingenden Schwert in Händen durch die Reihen seiner Gegner flitzte. Seinen Landsmann Kristiansen besiegte Larsen mit einem scharfen Kombinationshieb. Betrachte das heutige Rätsel der Sphinx, Wanderer: Larsen spielte mit Weiß; zuerst ein Opfer und dann der Raub!



SCHACH-SPHINX/05677: Zuerst ein Opfer und dann der Raub (SB)

Larsen - Kristiansen
Dänemark 1991

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Natürlich ließ sich Wolfgang Unzicker die Gelegenheit nicht entgehen, die Partie mit einem kraftvollen Schlußakt zu beenden und zog daher auf 1...Ld7-b5 2.Dh6xh7+! Sf8xh7 3.Th3xh7+ Kf7-f8 4.Td1xd8+ Lb5-e8 5.Sc4-d6 und Meister Czerniak gab vorsorglich auf, denn in spätestens vier Zügen wäre er mattgegangen.


Erstveröffentlichung am 21. Dezember 2002

07. Dezember 2015


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