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SCHACH-SPHINX/05974: Aufklärung tut not (SB)


Die Russen sind menschheitsgeschichtlich gesehen ein noch junges Volk und daher gegenüber den alten Kulturländern am Schwarzen Meer und an der Ostsee in vielem so etwas wie Nachzügler und Zweitbänkler in der hohen Schule des Schachspiels. Aus Armenien und den baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen rekrutierte sich Mütterchen Rußland überwiegend ihre stolzen Meisterdenker im Königliche Spiel. Ein fünftes Volk, die Juden, die sich nach der Vertreibung aus Palästina über die Welt zerstreuten und in ebendiesen Ländern ihre Diasporagemeinden aufbauten, stellten sogar ein weitaus größeres Kontingent in den sowjetisch gefärbten Nationalmannschaften, die dann, unter der Fahne Rußlands, die Bühne des 64feldrigen Brettes eroberten. Der erste Weltmeister mit unverfälscht russischem Blut war Alexander Aljechin, der sich jedoch nicht zu schade war, seiner Abstammung den Rücken zu kehren und in Frankreich eine neue Wahlheimat zu finden. So wenig, wie sich die Amerikaner auf ihre Schachmeister etwas einbilden können, besaßen die Russen also nie und nimmer die unbedingte Souveränität im Schachspiel. Völkern, die lange vor dem Auftauchen des ersten Russen und Amerikaners eine Kultur in unserem heutigen Sinne entwickelten, gebührt der Respekt, aus dem Schach eine Denkdisziplin gemacht zu haben. Aufklärung tut not. So war Louis Paulsen alles andere als ein Franzose, sondern ein in Nassengrund geborener deutscher Meister, der zwar 1854 in die USA emigrierte, sechs Jahre später jedoch in die alte Heimat zurückkehrte. Der schmalgesichtige Paulsen mit seiner hohen Stirn war ein hervorragender Theoretiker und Spieler. Im heutigen Rätsel der Sphinx gelang ihm gegen den Breslauer Anderssen ein Sieg, weil sich letzterer nunmehr mit 1...Sf5-g3+? 2.h2xg3 Tf8-f6 einen kleinen, aber entscheidenden Denkfehler geleistet hatte. Also, Wanderer, welchen Zug hatte der große Anderssen glattweg übersehen?



SCHACH-SPHINX/05974: Aufklärung tut not (SB)

Paulsen - Anderssen
Leipzig 1877

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Das Lied des Freibauern entschied die Partie. Tarrasch spielte damenverachtend und siegesmutig 1...a3-a2! 2.Tg6xf6+ g7xf6 3.Tf1-d1 Tb2-b1 4.Dh3-f1 Tc2-b2 5.Sf3-d2 Tb1xd1 6.Df1xd1 Tb2xd2. Der Rest war bloßes Handwerkswissen: 7.Dd1-c1 Td2xd3 8.Kh1-g2 Td3-c3 9.Dc1-a1 Tc3- c2+ 10.Kg2-f3 d4-d3 11.Da1-d1 Tc2-b2 12.Dd1-a4 d3-d2 und Weiß gab auf.


Erstveröffentlichung am 10. Oktober 2003

30. September 2016


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