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SCHACH-SPHINX/06082: Ein Stern namens Paul Morphy (SB)


Selten hat das Auftreten eines Schachmeisters den geordneten Lauf der Ereignisse so durcheinandergebracht, in Medien und Gesellschaft die Tagespunkte so verschoben und neue Prioritäten gesetzt wie der kometenhafte Aufstieg von Paul Morphy. Seine Leuchtkraft überstrahlte den Himmel aller darunter verblassender Geschehnisse, sei es in Politik, Kunst oder im gesellschaftlichen Tratsch. Erklären läßt sich der Steppenbrand des Interesses am jungen Amerikaner aus New Orleans nicht mit gewöhnlichen Kriterien. Morphy war viel zu bescheiden im Erscheinungsbild, höflich, zuvorkommend, gebildet, als daß er, wie es heutzutage leider zur Regel zu verkommen scheint, Aufsehen hätte erregen müssen mit plumper Anbiederei oder großschnäuzigen Bemerkungen. Er bestach einzig und allein durch seine Kunstfertigkeit im Schachspiel. Seine Werke, die Genialität seines Angriffs, sein ungebremster Siegeswille, der jedoch nie aufdringlich wirkte, sprachen für ihn. Vielleicht war es auch gerade diese Abkehr von selbstsüchtigen Darbietungen, die ihn so hinreißend machte. Dem Charme seiner Schlichtheit konnte man sich nicht verweigern. Er war in des Wortes schönstem Sinn tatsächlich unschuldig, ein Mensch, der keine Eigenheiten an sich duldete, weil er sich nur der Kunst verpflichtet fühlte. Gustav Reichhelm erinnerte sich 1882 an die flammende Erscheinung Morphys aus amerikanischer Sicht: "Als Morphy 1858 nach Europa reiste, las man seinen Namen in großen Lettern in der ersten Spalte jeder Zeitung. Ich ging damals noch zur Schule und wer von uns am besten die Einzelheiten über Morphys Wettkämpfe und Siege erklären konnte, stand im Mittelpunkt des Interesses. Jeder europäische Dampfer brachte neue Nachrichten von großen Schachtriumphen; man hörte Morphys Namen im Bus, auf dem Broadway, in den Theaterfoyers, in Hotels und auf den Straßen. Während die Erfolge amerikanischer Pferde auf englischen und französischen Rennplätzen das Publikum vielleicht eine Woche lang beschäftigten, waren die Siege von Morphy Monate hindurch Tagesgespräch, und die Kunde von jedem weiteren Erfolg erhöhte die ständig wachsende Begeisterung." Im heutigen Rätsel der Sphinx glänzte Morphys Genie nach nur acht Zügen aus der Partie gegen den seinerzeit wohl stärksten europäischen Schachmeister Adolf Anderssen hervor. Der Breslauer hatte zuletzt 1...f5-f4 gespielt und so das folgende Feuerwerk unbedacht entzündet. Also, Wanderer, laß Morphys Stern noch einmal aufflammen!



SCHACH-SPHINX/06082: Ein Stern namens Paul Morphy (SB)

Morphy - Anderssen
Paris 1858

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Nach 1...Tc8-c2! legte Labourdonnais die Mattschlinge aus, aus der es nach 2.Kh2-g1 Sf5xe3 3.Tf3xe3 Se4-d2 4.Df1-d3 Tc2-c1+ 5.Kg1-h2 Sd2-f1+ 6.Kh2-h3 Sf1xe3 7.Sg2xe3 Dh5-f3+ 8.Kh3-h2 Tc1-h1# kein Entkommen gab.


Erstveröffentlichung am 25. Januar 2004

16. Januar 2017


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