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SCHACH-SPHINX/06424: Der unbestiegene Berg (SB)


Wolfgang Unzicker trat den Weg zum Berufsschachspieler nie an. Als Münchener Richter spielte er zwar lange Jahre am ersten Brett der Nationalmannschaft, doch reichte die geringe Praxis - sein Beruf verhinderte viele Turnierteilnahmen -, nicht aus, um den Sprung an die Spitze zu schaffen. Als WM-Kandidat kam er so nie in Frage. Und auch Lothar Schmid, der Karl-May-Verleger und Jurist, wählte zwischen Beruf und Hobby eine scharfe Trennlinie. Auch er kein WM-Kandidat aus dem deutschen Stall. Klaus Darga, Bundestrainer der Nationalmannschaft, wiederum war als Leiter der Programmentwicklung eines großen Computerkonzerns zu sehr mit Algorithmen befaßt, als daß er sich intensiv mit der Schachtheorie beschäftigen konnte, um Boris Spasski, Bobby Fischer, Anatoli Karpow oder Garry Kasparow herausfordern zu können. Das deutsche Schach verlor mit Klaus Junge kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges einen Spieler, der durchaus für den Posten des Schachregenten in Betracht gekommen wäre. Zwei Juristen, ein Computerfachmann, das war zu wenig Stoff, um überhaupt von einer Weltmeisterkrone auf einem deutschen Haupt träumen zu können. Mit dem Altphilologen Robert Hübner betrat endlich ein klarer nüchterner Denker das Kandidatenkarussel. Mehrfach hatte Hübner die Chance gehabt, mehrfach war er gescheitert. Der erfolgreichste deutsche Schachspieler seit Kriegsende gehört nach wie vor zu den stärksten Spielern der Welt, doch die Welt hat sich für den 50jährigen längst weitergedreht. Gegen die junge Avantgarde aus Wladimir Kramnik, Viswanathan Anand, Wassili Iwantschuk und so weiter und so fort sind seine Chancen rein theoretischer Natur. Man versucht einmal, zweimal, vielleicht auch ein drittes Mal den Berg zu besteigen, erreicht man den Gipfel dann nicht, wird man ohne Erfolg ins Tal zurückkehren müssen. Im heutigen Rätsel der Sphinx soll Deutschlands Nummer 1 dennoch gebührend geehrt werden. In Lugano 1989 ließ er seinen Kontrahenten Hess nicht mehr aus den geistigen Fängen. Die Frage, Wanderer, an dich: Wie brachte Hübner seine weiße Dame entscheidend ins Spiel?



SCHACH-SPHINX/06424: Der unbestiegene Berg (SB)

Hübner - Hess
Lugano 1989

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Kunstvoll mag so mancher Zug sein, der einfache ist jedoch immer schön, und so verwirklichte Emanuel Lasker mit 1.Dd2-d4! Lc8-d7 - 1...e6xd5? 2.Lf3xd5+ Dd6xd5 3.Te1-e8+! - 2.Dd4-c5! Dd6xc5 3.b4xc5 Ta8- c8 4.c5-c6 b7xc6 5.d5xc6 Ld7-e8 6.c6-c7 Td8-d7 - 6...Td8-d6 7.Lf3-b7 - 7.Te1xe6 Le8-f7 8.Te6-c6 Lf7-d5 9.Lf3xd5+ Td7xd5 10.Tc6-a6 Kg8-f7 11.Ta6xa7 Kf7-e7 12.Ta7-a4! g7-g5 13.Ta4-c4 Ke7-d7 14.Tc4-c5 Td5xc5 15.Tc1xc5 Tc8xc7 16.Tc5xc7+ Kd7xc7 17.Kg1-f1 Kc7-d6 18.Kf1-e2 Kd6-d5 19.a2-a4 Kd5-d4 20.Ke2-f3 getreu seiner eigenen Philosophie vom Kampf den Sieg der kleinen Schritte.


Erstveröffentlichung am 29. Dezember 2004

24. Dezember 2017


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