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SCHACH-SPHINX/06464: Zwischen Genialität und Patzertum (SB)


Ihr Blick wankt selten, wenn sie das Geschehen auf dem Brett beurteilen müssen, aber im Leben sagt man den Großmeistern oft nach, daß ihre Gedanken brüchig seien, nur auf weniges fixiert. Nun, eine allzu menschliche Schwäche im Grunde. Wer weiß schon, plötzlich danach gefragt, von welcher Farbe seine Socken sind, die er sich morgens angezogen hat? Eine nette Anekdote ist vom Engländer Gerald Abrahams überliefert. Als Knabe hatte er an einem Simultanmatch gegen Alexander Aljechin teilgenommen und - bedauerlicherweise - verloren. Sein junges Herz war betrübt, so daß er sich schließlich vom Schach abwandte und Rechtsanwalt wurde. Jahre später suchte ihn Aljechin auf, um ihm die Erledigung einer Paßangelegenheit zu übertragen. Der Weltmeister wußte zu diesem Zeitpunkt nicht, daß er einst gegen den jungen Abrahams gespielt hatte. Nachdem die Aufgabe zur vollen Zufriedenheit Aljechins erledigt war, fragte er den Anwalt, wie er ihm danken könnte. Abrahams lächelte und erwiderte, der Weltmeister möge in Zukunft mehr Milde gegenüber seinen Kontrahenten zeigen. Aljechin war für einen Augenblick verwirrt, unterzog Abrahams Gesicht einer strengen Betrachtung und hob dann die Erinnerung aus der Versenkung hervor: "Liverpool 1923. Sie hatten Läufer und Springer gegen meine Bauern und Springer, und die Partie hätte remis enden müssen!" 13 Jahre lag diese Begebenheit zurück, zudem eine Simultanpartie, eine unter Hunderten, und doch hatte sich Aljechin exakt auf das Wesentliche dieser Partie besinnen können. Einerseits ist der Mensch zu Gedächtnis- und Denkleistungen fähig, die allgemeines Erstaunen erregen, andererseits vergißt er, wo er seinen Bleistift abgelegt hat und trägt ihn doch hinter dem Ohr. Das heutige Rätsel der Sphinx zeigt, wie nah Gipfel und Tal beieinander liegen können. Mit 1.g2-g3! hätte Meister Awerbach die Partie wohl in ein Remis retten können, nach 1.b2-b3? zahlte er jedoch einen hohen Preis für seine Gedankenverwirrung, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/06464: Zwischen Genialität und Patzertum (SB)

Awerbach - Petrosjan
UdSSR 1962

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Das Sprichwort vom Kopf, der partout durch die Wand will, läßt sich herrlich auf dieses Partiebeispiel anwenden. Nach 1.Tg5xg7? Tf7xg7 2.Lb2xf6 Dh3-g2+!! war der Zement eben doch härter als der Schädel. Weiß gab sofort auf, denn nach 3.Tg1xg2 Te8-e1+ war das Matt unabwendbar nah.


Erstveröffentlichung am 7. Februar 2005

2. Februar 2018


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