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SCHACH-SPHINX/06482: Die List des Mr. Potter (SB)


Simpson's Schachsalon in London war im 19. Jahrhundert eine Art Mekka. Hier konzentrierte sich das gesellschaftliche Leben und Wirken der englischen Meister, hier traf man sich, um im verhangenen Zigarrenrauch, schwergrübelnd in Gedanken oder erheitert vom Whisky, seine privaten Schachduelle auszutragen. Groß und klein gaben sich gleichermaßen die Ehre und konnten ihrem Hobby frönen. Anders als heutzutage war der Terminkalender der Herren Meister nicht vollgespickt. So fehlte ihnen die Muße nicht für die Besuche bei Simpson. London, das ist Nebel, schlechtes Wetter und schleichende Kühle. Also die besten Voraussetzungen, um sich bei einer Partie Schach das Herz zu erleichtern. Zwei Schachfreunde, Mr. Fenton und Mr. Potter, bildeten schon seit Jahren ein festes Spielergespann. Fenton, durchaus bemüht, die Geheimnisse des Spiels zu ergründen, war Potter gegenüber meist unterlegen. Doch Caissa verteilt ihre Gunst zuweilen recht launisch, und so kam es, daß Fenton mit den weißen Steinen das heutige Rätsel der Sphinx auf dem Brett erhielt. Vorgerückter Bauer gegen Turm, so hatte er gelernt, ist in der Regel Remis. Der Turm opfert sich einfacherweise gegen den Bauern, und das Endspiel mit zwei Königen ist Remis, wie ein Remis nur Remis sein kann. Mr. Potter wußte es in diesem ganz speziellen Fall jedoch besser, und um nicht ungnädigerweise eine Partie gegen seinen langjährigen Kontrahenten zu verlieren, seufzte er laut auf und bot seinem Gegenüber ein Remis an, so, als könne dieser recht zufrieden sein mit seiner Leistung. Dies Endspiel, so streute er listig ein, beweise mal wieder, wie stark solch ein Freibauer doch sein könne. Fenton, geschmeichelt von den Worten, schlug in das Remis ein, stolz darauf, gegen seinen stärkeren Kontrahenten endlich einmal nicht verloren zu haben. Nun, Wanderer, Mr. Fenton war in der Tat übers Ohr gehauen worden aus Unkenntnis, denn, wie ihm Mr. Potter gleich darauf zeigte, hätte er mit der richtigen Folge sogar gewinnen können.



SCHACH-SPHINX/06482: Die List des Mr. Potter (SB)

Fenton - Potter
London 1875

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Der schwarze Plan mit 1...g6-g5 war schick, mondän, lässig bis zur Überheblichkeit, und doch fadenscheinig, wie Weiß treffsicher bewies: 2.Se3-f5! g5xh4 3.g4-g5! - zerstört die eitle Hoffnung - 3...Sf6-g8 4.Dd2-f2 f7-f6 5.g5-g6 Sg8-h6 - in der Überzeugung gespielt, daß 5...Sh7-g5 6.Df2xh4 Sg8-h6 7.Dh4xh5 nebst 8.h3-h4 noch weniger Chancen bietet - 6.g6xh7 Sh6xf5 7.e4xf5 Kh8xh7 8.Df2xh4+ Lg7-h6 9.Tg1-g6 und Schwarz gab auf, da 9...Ta7-g7 10.Tg6xf6 Tg7-f7 11.Tf6-g6 angesichts der Drohung 12.f5-f6 nichts mehr hätte retten können.


Erstveröffentlichung am 25. Februar 2005

20. Februar 2018


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