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SCHACH-SPHINX/06510: Kompliment an den Irrwitz (SB)


Der Wiener Meister Savielly Tartakower war ein Kind zweier Schachwelten. Seine Lehrjahre durchwanderte er zweifellos die Gefilde der konventionellen Zentrumsbeurteilung, die mit Wilhelm Steinitz, Emanuel Lasker und Siegbert Tarrasch hervorragende Denker und Lehrer der Schachkunst auf ihrer Seite hatte. Als nach dem Ende des Ersten Weltkrieges freilich eine Avantgarde kühner Strategen das Feld betrat und alte, verhärtete Dogmata wie Frevler in Frage stellte, galt plötzlich die Besetzung des Zentrums mit Figuren und Bauern eben nur als eine Möglichkeit neben anderen. Nun wechselte Tartakower auf das revolutionäre Lager über, was ihm seitens seiner ehemaligen Kampfgenossen wie Verrat angehängt wurde. Ja, fortan führten sie im Falle einer eigenen Niederlage gar das absonderliche Argument auf den Lippen, nur aus dem Grunde verloren zu haben, weil Tartakower die Partie "falsch" behandelt habe. So kommentierte beispielsweise Efim Bogoljubow seine Verlustpartie gegen Tartakower im Turnier zu Pistyan 1922 mit den in ihrer Unverfrorenheit geradezu erheiternden Worten: "Es ist nur natürlich, daß ich verloren habe. Ist etwa so ein verrücktes Spiel eines Großmeisters wie Tartakower würdig? Er hat Züge gemacht, die der gesunden Strategie widersprechen und ohne Zusammenhang waren. Dadurch habe ich jede Lust zum Kämpfen verloren." Kompliment an den Irrwitz! Besser hätte es einer von Shakespeares Narren auch nicht sagen können. Indes hatte Tartakower bei all seiner Experimentierfreudigkeit auch düstere Stunden auf dem Brett erlebt, wie beispielsweise im heutigen Rätsel der Sphinx aus dem Groninger Turnier 1946. Mit den weißen Steinen hatte Tartakower die Abtauschvariante der Französischen Verteidigung gewählt, wohl aus einem Remisgedanken heraus. Immerhin war Tartakower seinerzeit schon 59 Jahre alt und wollte gegen den jungen aufstrebenden Russen Michail Botwinnik, der zwei Jahre später Weltmeister werden sollte, etwas beschaulicher zu Werke gehen. Schließlich entstand folgende Stellung, in der Tartakower zuletzt 1.a2-a4 gespielt hatte. Nun, Wanderer, war der Freibauer schnell genug, um der Mattdrohung gegen den weißen König zuvorzukommen?



SCHACH-SPHINX/06510: Kompliment an den Irrwitz (SB)

Tartakower - Botwinnik
Groningen 1946

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Es lebe das Kaffeehaus! Es lebe der Geist der Unbeschwertheit! Nach diesem Motto verfuhr denn auch Deschappelles und setzte ungeniert Matt mit 1...Df3-e4+ 2.Kc2-b3 Sc6-a5+ 3.Kb3-a4 Sa5-c4 4.Dd2-e1 De4-c2+ 5.b2- b3 Sf2-d3 6.Sf1-e3 - sonst wäre die Dame verlorengegangen - 6...Sc4xe3 7.De1-d2 Sd3-b2+ 8.Ka4-b5 c7-c6+ 9.Kb5-a5 Se3-c4+ 10.b3xc4 Dc2-a4#


Erstveröffentlichung am 24. März 2005

20. März 2018


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