Schattenblick → INFOPOOL → SCHACH UND SPIELE → SCHACH


SCHACH-SPHINX/06699: Angriff gegen die Achillesferse (SB)


Emanuel Lasker besiegte seine Gegner nicht allein mit guten Zügen. Er besiegte sie auch mit Hilfe einer Art von Psychologie, die im Leben selbst wurzelte. Es war dies die Stimme einer sehr praktischen Vernunft. Lasker wußte seine Gegner in bestimmten Kategorien zu sehen, zum Beispiel, wann dieser oder jener Spieler moralisch am effektivsten zu treffen war. Schachmeister sind ja nicht nur denkende, sondern auch fühlende Menschen, und in diese Gefühlswelt hineinzustochern, sie sich quasi dienstbar zu machen für die eigenen Zwecke, war Laskers Geheimnis mehrere Jahrzehnte lang. Hierin hatte er sich eine zweite Meisterschaft erworben. Ab einer bestimmten Partiephase witterte er förmlich, daß nun der Augenblick gekommen war für seine psychologische Kriegführung. Lasker hielt nichts von der Theorie eines besten Zuges. Statt dessen lotete er in Neigungen hinein, die oftmals die Fundamente bildeten für die Entscheidungen seiner Gegner. So spielte er mit Ängsten, Zweifeln und Verlockungen, um sie dann für sich nutzbar zu machen. Beispielsweise wußte Lasker im heutigen Rätsel der Sphinx, daß sein amerikanischer Herausforderer Frank Marshall eine gewisse Furcht vor Endspielen hatte. Lasker war ja als Virtuose auf diesem Gebiet bekannt. Mit seinem letzten Zug 1...Tb8-b5! stellte der Weltmeister zwei Drohungen auf. So konnte der schwarze Turm auf der fünften Reihe einen Schwenk auf die c- und e-Linie machen und die weißen Bauern bedrohen. Darüber hinaus bildete auch der weiße h-Bauer eine lohnenswerte Angriffsmarke. In dieser streßgeplagten Situation griff denn auch Marshall erwartungsgemäß fehl. Mit nunmehr 2.c2-c4? wollte er sich des Problems mit seinem c-Bauern entledigen. Die Radikalität dieses Lösungsweges lag in Marshalls Psyche begründet. Das war seine Achillesferse, dies Jähe, Unmittelbare, aber auch Überhastete. Lasker vollzog dann mit 2...Tb5-h5! 3.Kf1-g1 c6-c5 4.Sb1-d2 Kg8-f7 5.Ta1-f1+ Kf7-e7 6.a2-a3 Th5-h6! 7.h2-h4 Th6-a6 ein zauberhaftes Turmmanöver und gewann in der Folge mit dem Vorrücken seines Damenbauern. Nun, Wanderer, mit welcher Zugfolge hätte der Amerikaner bei klarerem Kopf das Remis behaupten können?



SCHACH-SPHINX/06699: Angriff gegen die Achillesferse (SB)

Marshall - Em. Lasker
New York 1907

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Die weißen Angriffschancen erfuhren einen Werteverfall, nachdem Portisch die gewonnene Qualität mit 1...Tf7xf6! zurückgab und nach 2.g5xf6 Dd8xf6 3.Dh4xf6+ Tf8xf6 ein bequem zu gewinnendes Endspiel erhielt: 4.a2-a4 Kh8-g7 5.a4-a5 Lf5-d3 6.Tf1xf6 Kg7xf6 7.a5xb6 a7xb6 8.Lg2-d5 Kf6-f5 9.Kh1-g1 c5xd4 10.c3xd4 Kf5-f4 11.Kg1-f2 und Spasski gab auf. Portisch hätte einen schwarzen Bauern nach g3 geführt und dadurch entscheidend das Feld e3 für seinen König erobert.


Erstveröffentlichung am 29. September 2005

28. September 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang