Selbst den großartigsten kombinatorischen Denkern entgehen zuweilen die schönsten Siegeswendungen. Der Mensch ist oftmals zu sehr Pragmatiker, als daß er notwendig immer die kürzesten, logisch einwandfreiesten Zugfolgen ermitteln könnte. Verborgen in einer Unzahl von Partien ruhen sicherlich noch etliche glänzende Einfälle, denen der menschliche Geist bisher nicht auf die Schliche gekommen ist, die in keinem Lehrbuch stehen und vielleicht für immer im dunklen Reich des Vergessens schlummern werden. Im heutigen Rätsel der Sphinx soll eine dieser schillernden, lang verschollenen Kleinode des Geistes ans Licht kommen. Unentdeckt blieb sie in der Partie zwischen Jacques Mieses und Alexander Aljechin aus dem Turnier zu Scheveningen 1913. Aljechin hatte in der Analyse der Partie folgende Stellung entworfen. Trotz materiellen Nachteil besitzt Schwarz dank des Freibauern eine Gewinnposition. Aljechin übersah beim Nachsinnen der Möglichkeiten jedoch, daß er hier mit vier wuchtigen Schlägen hätte gewinnen können, Wanderer.
Mieses - Aljechin
Scheveningen 1913
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Nach 1.Tc1-b1? legte sich, immer dichter werdend, ein feines
Spinnennetz um Michail Botwinnik, und wieder einmal konnte Wassily
Smyslow mit seinen ungemein schleichenden, herantastenden Plänen einen
Sieg verbuchen: 1...Se5-f3+ 2.Kg1-h1 Lb7xa8! - ganz offensichtlich von
Botwinnik übersehen worden, danach gab es keine Rettung mehr für ihn -
3.Tb1xb2 Sf3xg5+ 4.Kh1-h2 Sg5-f3+ 5.Kh2-h3 Lg7xb2 6.Da4xa7 La8-e4 7.a3-
a4 Kg8-g7 8.Tf1-d1 Lb2-e5 - die schwarzen Figuren formieren sich
bedrohlich - 9.Da7-e7 Tf8-c8 10.a4-a5 Tc8-c2 11.Kh3-g2 Sf3-d4+ 12.Kg2-
f1 Le4-f3 13.Td1-b1 Sd4-c6 und Weiß gab auf, da sein König
beispielsweise nach 14.De7-c7 Le5-d4 15.Dc7xd6 Tc2xf2+ 16.Kf1-e1 Tf2-
e2+ zu Ende gejagt worden wäre.
Erstveröffentlichung am 17. November 2005
16. November 2018
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