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BERICHT/042: Der Wandel der Oasen (DFG forschung)


forschung 2/2007 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Der Wandel der Oasen

Von Prof. Dr. Andreas Bürkert, Prof. Dr. Eva Schlecht, Dr. Jutta Häser


Eine hoch entwickelte Oasenlandwirtschaft bot neben dem Fischfang jahrhundertelang die Lebensgrundlage für die sesshafte Bevölkerung des Oman. Am Beispiel von abgelegenen Bergoasen gehen Wissenschaftler der sich wandelnden Wirtschaftsweise in Oasensiedlungen auf den Grund


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Bekannt als Ursprungsland des Weihrauchs, als wichtiger Kupferlieferant der Antike und als Heimat des legendären Kaufmanns, der unter dem Namen "Sidibad der Seefahrer" für den sagenhaften Reichtum eines orientalischen Händlers steht, war Oman bis 1970 für Ausländer kaum zugänglich. Als aufgeklärtes, muslimisches Sultanat hat das Land seitdem einen nachhaltigen Transformationsprozess seiner Kultur und Wirtschaft erlebt. Aus einem Land der Nomaden, die die schnellsten Kamele der Welt züchten, der Oasenlandwirte, Fischer und Seefahrer, die mit ihren robusten Schilf- und später Holzbooten bereits um das Jahr 3000 v. Chr. regelmäßigen Handel mit Indien trieben, wurde eine Gesellschaft, die überwiegend von der Petroindustrie und Dienstleistungen lebt. Die Oasenwirtschaft als ursprüngliche materielle Basis und prägendes Element der omanischen Kultur trat dabei in den Hintergrund. Sie wurde zum touristischen Exotikum. Dabei sind viele der über neu gebaute Teerstraßen gut zugänglichen Oasen zu weitläufigen "Wohnsiedlungen unter Bäumen" umgebaut, abgelegene Siedlungen zu Wochenendresidenzen umgestaltet oder ganz aufgegeben worden.

Auf der Grundlage neuer interdisziplinärer Untersuchungen können die Funktionsweise und Entwicklungsmöglichkeiten abgelegener omanischer Bergoasen beispielhaft dargestellt und bewertet werden. Gegenstand der hier dargestellten Untersuchung sind die Bergoasen Maqta im Jabal Bani Jahr (eine kleine " Streuoase " 1050 Meter über dem Meeresspiegel), Al 'Ayn und Ash Sharayjah (zwei kleine "Kernoasen" auf 2000 Meter Höhe) im Gebirgsmassiv Al-Jabal-al-Akhdar, die eben erst infrastrukturell angebundene Kleinoase Al-Shugra sowie Balad Seet (eine große "Kernoase" auf 1000 Meter Höhe) im nördlichen Hajar-Gebirge.

Merkmale aller Standorte sind ihre Wasserversorgung über "Aini Aflaj ", ein quellengespeistes Kanalsystem, das sich bei einem Jahresniederschlag von 100-200 Millimetern im Oman wohl zwischen 1000 und 500 v. Chr. herausbildete, sowie das intensive Zusammenwirken von Terrassenfeldbau und Viehhaltung. Die Viehhaltung ist verbunden mit einem oder zwei kurzen täglichen Weidegängen im oasenumgebenden Wüstengebirge sowie der intensiven Zufütterung von proteinreichen Fischen, energiereichen Datteln, Nahrungsmittelresten und Luzerne. Die auf den viele Jahrhunderte alten, aus zehntausenden von Tonnen Wadisedimenten kunstvoll aufgeschütteten Terrassen werden landwirtschaftlich intensiv genutzt. Morphologische und molekulargenetische Untersuchungen zeigen, dass die auf den Terrassen angebauten, allerdings derzeit rasch verschwindenden Weizenlandrassen weltweit einzigartig sind. Die darin neu entdeckten fünf Brotweizen- und vier Hartweizenarten unterstreichen die uralte Funktion dieser Bergoasen als Standorte für, genetische Ressourcen. Sie spiegeln zugleich die alten Handelsbeziehungen des Oman zu allen wichtigen Ländern der Region wider.

Ein erstes Beispiel: Das Siedlungsgebiet von Maqta liegt am Fuße der 1992 entdeckten monumentalen und bis zu 4500 Jahre alten, aus behauenen Steinen gefügten Steintürme des Shir-Plateaus und erstreckt sich, seiner 22 winzigen Quellen wegen, über eine Fläche von circa 25 Quadratkilometern. Da die Türme im Laufe der Zeit ausnahmslos ausgeraubt und als Notunterkünfte für Hirten genutzt wurden, ist ihre Datierung und Bedeutung archäologisch nicht klar zu fassen. Analogien zu ähnlichen Bauwerken in der Region weisen allerdings eindeutig auf eine ursprüngliche Grabnutzung hin. Ihre Häufung und Orientierung auf dem Shir-Plateau legt darüber hinaus eine Rolle als "Wegweiser" zu den bedeutendsten Wasserquellen der Region nahe. Durch Radiokarbondatierungen und Pollendiagramme aus einem 20 Meter tiefen, weit bis ins erdgeschichtliche Pleistozän (vor etwa 16 000 Jahren) zurückreichenden und als Klimaarchiv nutzbaren Bodenprofil ist die Besiedlung Maqtas erst seit etwa 600 Jahren belegt. Davor kann eine zeitweise Nutzung der Wasserquellen und Weideflächen durch nomadisierende Schaf- und Ziegenhirten angenommen werden. Bis heute ist die zentrale Siedlung mit ihren insgesamt 59 Steingebäuden, die im Wesentlichen als Speicher dienen, infrastrukturell wichtig für die ungefähr 200 halb-nomadisch lebenden Bewohner mit ihren Ziegen- und Schafherden und für die 16 Terassensysteme auf einer Gesamtfläche von insgesamt nur 4,5 Hektar. Durch unterdurchschnittliche Niederschlagsverhältnisse kam es im Untersuchungszeitraum zur Aufgabe zahlreicher Flächen und in einem Fall sogar zum Aussterben einer der uralten örtlichen Weizenlandrassen. Aufgrund seiner abgelegenen Lage und seiner prekären Wasserversorgung ist diese Oasensiedlung trotz staatlicher Infrastrukturleistungen und Transferzahlungen akut vom Verlassen bedroht.

Ein zweites Beispiel: Die Terrassen auf dem Al-Jabal-al-Akhdar sind aufgrund ihrer spektakulären Lage an den Steilhängen der Berge über den Oman hinaus als "Hängende Gärten" bekannt. Wie Luftaufnahmen und Messungen der teilweise nur einen Quadratmeter großen Parzellen ergaben, bewirtschaften die Bauern der 1980 Meter hoch gelegenen Siedlungen Al 'Ayn und Ash Sharayjah insgesamt 2,4 Hektar Rosengärten (für die Destillation von Rosenwasser) und 10 Hektar Terrassen mit Granatäpfeln und Walnussbäumen, Limetten, Luzerne, Gerste oder Zwiebeln für den Eigenbedarf und den Verkauf. In den vergangenen zehn Jahren wurde nach und nach ein Drittel der ursprünglichen Terrassenfläche aufgegeben, nach Aussage der Bewohner vor allem infolge zunehmender Wasserknappheit. Diese wird von der Bevölkerung auf die in den letzten Dekaden ständig zurückgehenden Niederschläge zurückgeführt, muss aber wohl eher dem rapide voranschreitenden Neubau von Siedlungen auf der Hochfläche des Sayq-Plateaus und der damit einhergehenden Anlage von intensiv bewässerten Hausgärten zugeschrieben werden. Ein weiterer Grund für die übermäßige Beanspruchung der Wasserressourcen dürfte der derzeit rasch wachsende Tourismus werden. Auch die Bevölkerung der Oasen verbraucht heute mehr Wasser als noch vor 30 Jahren, denn Toiletten, Duschen und elektrische Waschmaschinen haben auch in viele kleine Bergdörfer Einzug gehalten. Eine Umstellung des Landbaus auf eine (zertifiziert vermarktbare) organische Bewirtschaftungsweise, die aufgrund des bereits bisher sehr geringen Einsatzes von Mineraldünger und dem fast vollständig fehlenden Pestizideinsatz aus pflanzenbaulicher Sicht problemlos erscheint, würde den Oasenprodukten neue Absatzmöglichkeiten eröffnen und so die harte Arbeit in den Gärten wieder lohnend machen. Eine Erhebung von Eintrittsgebühren zu den Dörfern oder durch ortskundige Führer begleitete Besuche der Gärten könnte der Dorfbevölkerung Einnahmequellen aus dem Tourismus erschließen.

Die Oasensiedlung Al-Shugra befindet sich ebenfalls auf dem Al-Jabal-al-Akhdar. Sechs aus Stein erbaute Wohnhäuser und einige Ziegenställe schmiegen sich unter einem Felsvorsprung direkt an die Bergwand und überblicken ein schmales Trockental, das vorwiegend mit Walnuss-, Granatapfel-und Pfirsichbäumen bestanden ist. Aufgrund der mit 0,7 Kubikmetern pro Stunde sehr geringen Ergiebigkeit der einzigen Quelle des Dorfes haben die Bauern den Anbau von bewässerungsintensiven Kulturen wie Weizen und Futterpflanzen schon vor einigen Jahren aufgegeben. Der von nur 50 Personen bewohnte Ort wurde erst 2004 durch eine von der Asphaltstraße abzweigende Schotterstraße für Fahrzeuge zugänglich gemacht. Die letzte Wegstrecke durch das Trockental bis zum Dorf muss nach wie vor zu Fuß über große Steinstufen zurückgelegt werden. Die alten Gebäude dürften nach dem Wegzug ihrer Bewohner, wie unzählige andere vor ihnen, rasch dem Verfall anheimfallen, wenn sie nicht als kulturhistorisches Kleinod (Besucherdorf) erhalten werden. Ein letztes Beispiel: Die von über 600 Personen bewohnte große Oasensiedlung Balad Seet am Westabfall des Gebirges Al-Jabal-al-Akhdar wird - wie archäologische Funde belegen - seit der Eisenzeit II (1100 v. Chr.) dauerhaft genutzt. Aufgrund ihres großen Wassereinzugsgebietes führen die zwölf dicht um die Oasensiedlung gelegenen Quellen, wie regelmäßige Messungen zeigen, auch nach mehreren Jahren Dürre noch so viel Wasser, dass der Anbau von Datteln oder Viehfutter möglich ist. Studien zum Wasseralter legen nahe, dass das Regenwasser fünf bis sechs Jahre lang durch das Kalk- und Tonsteinmassiv sickert, bevor es bei der Oase zutage tritt. Die relativ sichere Wasserversorgung unterscheidet Balad Seet insbesondere von Maqta, sowohl im Hinblick auf die Siedlungsgeschichte als auch auf die Zukunftsperspektiven der beiden Siedlungen. Der kontinuierliche Bau von neuen Wohnhäusern beziehungsweise die Modernisierung alter Gebäude und ihre Ausstattung mit sanitären Einrichtungen sowie der Anschluss von Balad Seet an das Straßen- und Mobilfunknetz machen diesen Ort zunehmend für omanische Wochenendbewohner und Individualtouristen attraktiv, Ein unüberlegtes Ausweiten des Tourismus in Balad Seet dürfte allerdings auch hier die bereits andernorts festgestellten Probleme mit sich bringen. Vor diesem Hintergrund ist die Sammlung und interdisziplinäre Auswertung von grundlagenorientierten Daten zur Siedlungsgeschichte und zur Funktionsweise der omanischen Bergoasen nicht nur von wissenschaftlichem Interesse, sondern ebenso von planerischer und politischer Bedeutung.

Prof. Dr. Andreas Bürkert
Prof. Dr. Eva Schlecht
Universität Kassel

Dr. Jutta Häser
Deutsches Evangelisches Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes, Amman

Die Untersuchungen wurden von der DFG im Normalverfahren gefördert.


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Blick auf die Oase Balad Seet im Al-Jabal-al Akhdar-Gebirge des nördlichen Oman.
Fruchttragende Dattelpalmen sind in vielen Bergoasen des Oman ein alltägliches Bild.
Ein omanischer Bauer bei der Handernte von Luzerne, die als Viehfutter verwendet wird.
Die eindrucksvollen "Hängenden Oasenterrassen" an den Steilhängen des Al-Jabal-al-Akhdar-Gebirges im Nordoman. Das Luftbild wurde mithilfe eines ferngesteuerten Elektroflugzeugs aufgenommen.
Unterwegs mit zwei Eseln: Werkzeug und flüssiger Stickstoff werden zur Vor-Ort-Konservierung von Bodenproben transportiert.
Eine steile Steintreppe führt zur Oase Al-Shugra im Nordoman.
Eine Seilleiter bahnt den Weg in ein 20 Meter tiefes "Sedimentationsprofil", das aufschlussreiche Bodenproben ermöglicht.
Vernachlässigter Dattelpalm-Hain in der nordomanischen Stadt Bahla.

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Quelle:
forschung 2/2007 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, S. 16-21
mit freundlicher Genehmigung der Autoren
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Oktober 2007