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KIND/104: Vom Wert des alltäglichen Miteinanders (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 4/2011 - Nr. 96

Vom Wert des alltäglichen Miteinanders

Sprachliche Bildung als Querschnittsaufgabe für pädagogische Fachkräfte:
Das DJI-Konzept »Sprachliche Bildung und Förderung für Kinder unter Drei«

Von Katrin Pischetsrieder


Sprache ist der Schlüssel für Bildungserfolg und Integration. Mehr noch: Sie schafft die Basis für eine gelingende Teilhabe an der Gesellschaft - beruflich wie privat. Bedürfnisse mitteilen, sich selbst ausdrücken, Nähe herstellen sind wichtige Voraussetzungen für ein soziales Miteinander. Der Grundstein dazu wird in den ersten Lebensjahren gelegt. Eine reichhaltige Sprachumgebung und ein feinfühliges Dialoghandeln von Seiten pädagogischer Fachkräfte begleiten und unterstützen junge Kinder auf ihrem Weg in die Sprache hinein.

Eine alltagsintegrierte und zugleich systematische sprachliche Förderung in der Kita ist das zentrale Leitprinzip des vom Deutschen Jugendinstitut entwickelten Ansatzes »Sprachliche Bildung und Förderung für Kinder unter Drei« (siehe Link-Hinweis). Dabei handelt es sich nicht um ein punktuelles pädagogisches Zusatzangebot. Sprachliche Bildung wird vielmehr als eine Querschnittsaufgabe verstanden; sie ist eine kontinuierliche und grundlegende Herausforderung pädagogischen Arbeitens.


Sprachanregende Situationen nutzen

Eine wirksame sprachliche Bildungsarbeit gelingt am besten, wenn sie die Besonderheiten des frühkindlichen Spracherwerbsprozesses berücksichtigt. Kinder eignen sich Sprache im Rahmen von Handlungen und Situationen an, die für sie Bedeutung haben. Ein Tag in der Kita kann für Kleinkinder eine Fülle an sprachlichen Anreizen bieten. Das gilt nicht nur für von Fachkräften initiierte Aktivitäten wie das gemeinsame Betrachten von Bilderbüchern oder der Morgenkreis, sondern insbesondere auch für Routinesituationen wie das gemeinsamen Essen oder das Anziehen. Daher gilt es, die Abläufe und Situationen im Alltag systematisch zu analysieren und auf die spezifischen Möglichkeiten hin zu durchleuchten, die sie für sprachliche Bildung bergen. Dies entspricht genau der Art und Weise, wie Kleinkinder sich Sprache erschließen, nämlich beiläufig, in einem impliziten Lernvorgang.

Auch beim Wickeln beispielsweise kann ein Kind sprachlich profitieren, wenn die Situation entsprechend gestaltet ist beziehungsweise die pädagogische Fachkraft deren Potenzial erkennt und nutzt. Denn in dieser alltäglichen Pflegesituation befindet sich das Kind in der Regel alleine mit dem Betreuenden. Es erfährt in besonderer Weise Nähe und Zuwendung. Solche intensiven Momente sind auch für die sprachliche Bildung sehr wertvoll, da der Spracherwerb eingebettet in persönliche Beziehungen stattfindet. Außerdem wirkt die Aufmerksamkeit, die das Kind bekommt, als Motor dafür, sich sprachlich zu betätigen. Routinierte Abläufe wie das Wickeln zeichnen sich dadurch aus, dass sie ritualisiert ablaufen und charakteristische Sprachmuster und formelhafte Redewendungen aufweisen, die immer wiederkehren und Kindern eine Brücke in den Spracherwerb bauen. Der bekannte und vertraute situative Kontext gibt Sicherheit. Zudem erleben die Kinder in diesen Situationen ganz besonders die sprachliche Zuwendung durch die pädagogische Fachkraft. Die Fachkraft wiederum kann ihr sprachliches Verhalten gezielt an die sprachlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten des einzelnen Kindes anpassen und dem Interesse des Kindes folgen.


Kleine Veränderungen, große Wirkung

Um sprachanregende Angebote zu gestalten, benötigen Fachkräfte eine feinfühlige dialogische Haltung. Das beinhaltet, sensibel zu sein für Situationen, in denen Kinder für den sprachlichen Austausch bereit sind. In dem Moment, in dem sich die pädagogische Fachkraft der spezifischen Möglichkeiten bewusst ist, die der Alltag für sprachliche Bildung bietet, und ihr Sprachhandeln flexibel danach ausrichtet, ziehen Kinder daraus sprachlich Gewinn.

Aus diesem Bewusstsein heraus können gegebenenfalls Abläufe entsprechend umgestellt werden, um Sprachanlässe und eine anregungsreiche Atmosphäre zu schaffen. Bereits kleine Veränderungen zeigen hier Wirkung. So kann beispielsweise die Umstellung eines Wickeltisches beziehungsvolle Interaktionen beim Wickeln fördern, oder es können sich durch das Umsetzen der Kinder beim Mittagessen erste kleine Tischgespräche ergeben. Um Kinder auf diese Weise aus professioneller Sicht auf dem Weg in die Sprache zu begleiten, bedarf es eines theoretisch fundierten Wissens darüber, wie sich Kinder Sprache aneignen. Das schärft den Blick dafür, wie Kinder Sprache erleben und entdecken, welche (individuellen) Strategien des Spracherwerbs sie anwenden. Auf diesem Wissen basierende Wahrnehmung, kontinuierliche Beobachtung und Dokumentation schließlich versetzen pädagogische Fachkräfte in die Lage, im Alltag an den Interessen und Bedürfnissen der Kinder entlang beziehungsvolle Interaktionen zu gestalten und dabei auf individuelle Entwicklungswege einzugehen.

Theoriegestützte Wahrnehmung, Dokumentation und deren Methoden sind deshalb auch ein wichtiger Bestandteil der Qualifizierungsoffensive nach dem DJI-Konzept »Sprachliche Bildung und Förderung für Kinder unter Drei« im Rahmen der bundesweiten Initiative »Frühe Chancen« des Bundesfamilienministeriums. Das DJI leistet im Rahmen dieser Offensive einen wichtigen Beitrag zur Qualifizierung von pädagogischen Fachkräften und befördert eine kontinuierliche, systematische sprachliche Bildung an Kindertageseinrichtungen, die letztlich Kinder in ihrer Sprachkompetenz stärkt.


DIE AUTORIN
Katrin Pischetsrieder ist seit 2011 wissenschaftliche Referentin in der Abteilung Kinder und Kinderbetreuung am Deutschen Jugendinstitut und koordiniert die Qualifizierungsoffensive nach dem DJI-Konzept »Sprachliche Bildung und Förderung für Kinder unter Drei«.
Kontakt: pischetsrieder@dji.de


IM INTERNET

www.dji.de/sprache-quali


Die Publikationen des DJI zur sprachlichen Bildung und Förderung im Elementarbereich

Am Deutschen Jugendinstitut (DJI) beschäftigen sich Wissenschaftlerinnen mit Unterstützung durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und einer Reihe von Bundesländern schon seit vielen Jahren mit der Frage, wie das Kind zur Sprache kommt, und welche Möglichkeiten und Gelegenheiten der Kita-Alltag zur Begleitung und Unterstützung der Kinder bereithält.

Ausgehend von einer bundesweiten Recherche zu Maßnahmen und Konzepten der sprachlichen Förderung und deren Analyse (in den Jahren 2003 und 2004) entwickelte eine Projektgruppe am DJI ein Konzept, das die sprachliche Bildung und Förderung als eine Querschnittsaufgabe des pädagogischen Handelns im Elementarbereich ausweist (2006). Dieser Grundgedanke einer alltagsbezogenen sprachlichen Bildung wurde in Zusammenarbeit mit pädagogischen Fachkräften und mit Fachleuten verschiedener Wissensbereiche zunächst für die sprachpädagogische Arbeit mit Kindern im Alter zwischen drei und sechs Jahren entwickelt (2009) und in einem zweiten Schritt für die Altersgruppe der Kinder bis zu drei Jahren erweitert (2011).

Der Ansatz der DJI-Projektgruppe vereint Erkenntnisse aus der Sprachwissenschaft, der Entwicklungspsychologie und der Pädagogik zum kindlichen Spracherwerb. Dieses komplexe Wissen ist in den Materialien des DJI für Erzieherinnen und Erzieher aufbereitet worden. Die Fachkräfte werden mit praxisnahen Wissensbausteinen und ergänzenden Orientierungsleitfäden ermuntert, selbst Kindersprache in all ihren Facetten wahrzunehmen und zu entdecken. Darüber hinaus sind in den Praxismaterialien die Prinzipien einer kompetenzorientierten und handlungsrelevanten sprachlichen Bildungsarbeit für den Elementarbereich mit vielen Beispielen und Anregungen bebildert.

Als weiterer Baustein des DJI-Konzepts wurden Interaktionsprozesse zwischen pädagogischen Fachkräften und Kindern im Krippenalter unter die Lupe genommen (im Auftrag der Landesstiftung Baden-Württemberg im Rahmen des Projekts »Sprachliche Bildung für Kleinkinder«). Dabei geht es um erprobte Kommunikationsformen und Situationen des pädagogischen Alltags, die in besonderem Maße den kindlichen Spracherwerb unterstützen und fördern (2011).

Die Veröffentlichungen aus den Sprachprojekten des DJI sind im Verlag das Netz (Berlin/Weimar) erschienen und halten Wissenswertes und Praktisches für die sprachliche Bildung von Kindern sowohl im Krippen- als auch im Kindergartenalter bereit.

JAMPERT, KARIN / BEST, PETRA / GUADATIELLO, ANGELA / HOLLER, DORIS / ZEHNBAUER, ANNE (2005 UND 2007): Schlüsselkompetenz Sprache. Sprachliche Bildung und Förderung im Kindergarten. Konzepte-Projekte-Maßnahmen. Weimar/Berlin

KARIN JAMPERT / KERSTIN LEUCKEFELD / ANNE ZEHNBAUER / PETRA BEST (2006): Sprachliche Förderung in der Kita. Wie viel Sprache steckt in Musik, Bewegung, Naturwissenschaften und Medien? Weimar/Berlin

KARIN JAMPERT / ANNE ZEHNBAUER / PETRA BEST / ANDREA SENS / KERSTIN LEUCKEFELD / MECHTHILD LAIER (Hrsg.; 2009): Kinder-Sprache stärken! Sprachliche Bildung und Förderung in der Kita - Das Praxismaterial. Weimar/Berlin

KARIN JAMPERT / VERENA THANNER / DIANA SCHATTEL / ANDREA SENS / ANNE ZEHNBAUER / PETRA BEST / MECHTHILD LAIER (Hrsg.; 2011): Die Sprache der Jüngsten entdecken und begleiten - Sprachliche Bildung und Förderung für Kinder unter Drei. Weimar/Berlin

PETRA BEST / MECHTHILD LAIER / KARIN JAMPERT / ANDREA SENS / KERSTIN LEUCKEFELD (2011): Dialoge mit Kindern führen. Die Sprache der Kinder im dritten Lebensjahr beobachten, entdecken und anregen. Herausgegeben von der Stiftung Baden-Württemberg. Weimar/Berlin.


DJI Impulse 4/2011 - Das komplette Heft finden Sie im Internet unter:
www.dji.de/impulse


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Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 4/2011 - Nr. 96, S. 14-16
Herausgeber: Deutsches Jugendinstitut e.V.
Nockherstraße 2, 81541 München
Telefon: 089/623 06-0, Fax: 089/623 06-265
E-Mail: info@dji.de
Internet: www.dji.de

DJI Impulse erscheint viermal im Jahr.
Die Hefte können kostenlos unter www.dji.de/impulsebestellung.htm
abonniert oder unter vontz@dji.de schriftlich angefordert werden.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2012