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KIND/120: Musikalische Starthilfe (idw)


Julius-Maximilians-Universität Würzburg - 27.11.2012

Musikalische Starthilfe

Kann eine Kombination aus musikalischer Frühförderung und einem Sprachtraining dazu beitragen, dass Kinder leichter lesen und schreiben lernen? Das untersuchen Wissenschaftler aus Würzburg, Bamberg und Berlin in einem neuen Forschungsprojekt.



Für zehn bis 15 Prozent aller Kinder in Deutschland ist es ein Problem: Vom Kindergarten in die Schule gewechselt, fällt es ihnen schwer, Lesen und Schreiben zu erlernen. Gelingt es nicht frühzeitig, ihren Rückstand zu beheben, sind die Prognosen schlecht. Eine Korrektur zu einem späteren Zeitpunkt ist schwierig. Wegen der ständigen Erfahrung des Scheiterns und des Misserfolgs ist bei den Betroffenen dann häufig die Motivation gering, sich auf dem für sie schwierigen Gebiet besonders anzustrengen.

"Wenn es gelingt, diese Kinder frühzeitig zu fördern, so dass die Probleme gar nicht erst auftreten, kann man ihnen ein schlimmes Schicksal ersparen", sagt Professor Wolfgang Schneider. Aus diesem Grund sucht der Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogische Psychologie der Universität Würzburg gemeinsam mit Kolleginnen aus Bamberg und Berlin nach neuen Wegen, Kinder schon im Kindergarten fit zu machen für den Lese- und Rechtschreibunterricht an der Grundschule. In einem neuen Forschungsprojekt testen die Wissenschaftler in den kommenden drei Jahren dafür eine Kombination aus einem speziellen Sprachtraining mit einem musikalischen Förderprogramm. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt das Vorhaben mit rund 370.000 Euro.


Phonologische Bewusstheit ist das A und O

Der Schlüssel zum Erfolg beim Lesen- und Schreiben-Lernen ist die sogenannte "phonologische Bewusstheit" der Kinder. Reimt sich "Hund" auf "Mund" oder auf "Hand"? Ist der Satz "Auf dem Berg steht ein" vollständig? Kannst du die Silben klatschen, wenn ich dir einen Satz vorspreche? Mit Fragen und Aufgaben wie diesen untersuchen und trainieren Wissenschaftler die phonologische Bewusstheit im weiteren Sinn. Geht es um die phonologische Bewusstheit im engeren Sinn, sollen Kinder beispielsweise erkennen, mit welchem Laut ein Wort beginnt oder ob ein bestimmter Laut in einem vorgegebenen Wort auftaucht, etwa ob in "Ochse" ein A steckt.

"Phonologische Bewusstheit erwerben Kinder in der Regel während der letzten ein, zwei Kindergartenjahre", sagt Wolfgang Schneider. Je nachdem, wie gut diese entwickelt ist, tun sich die Kinder auf der Schule dann schwerer oder leichter, wenn sie lesen und schreiben sollen. Ein Trainingsprogramm, das Wolfgang Schneider gemeinsam mit Petra Küspert entwickelt hat, kommt seit vielen Jahren in deutschsprachigen Kindergärten unter dem Namen "Hören-Lauschen-Lernen" zum Einsatz. Seine Wirksamkeit hat es in einer Reihe von Studien von Schneider und Mitarbeitern erwiesen.


Das Forschungsprojekt

Trotzdem: "Die Ergebnisse aus diesen Studien haben uns dazu angeregt, das Programm weiter zu optimieren", sagt Schneider. Deshalb wollen die Wissenschaftler in den kommenden Jahren untersuchen, ob die Kombination des Hören-Lauschen-Lernen-Programms mit einer musikalischen Frühförderung dazu geeignet ist, die phonologische Bewusstheit der Teilnehmer zu steigern.

Fünf Monate lang dürfen die Kinder dafür im zweiten Kindergartenjahr unter anderem auf der Trommel Rhythmen schlagen, erste Instrumente spielen, singen, tanzen und eine basale Notenschrift erlernen. Mehrmals pro Woche werden sie in jeweils 20-minütigen Einheiten sich sowohl aktiv mit Musik beschäftigen als auch passiv - beispielsweise mit Hörübungen, bei denen es darum geht, Ton- und Klangunterschiede zu erkennen. Im Rahmen dieser musikalischen Frühförderung koooperiert das Team mit Prof. Friedhelm Brusniak, Inhaber des Lehrstuhls für Musikpädagogik der Universität Würzburg, sowie Andreas C. Lehmann, Professor für Systematische Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik Würzburg.

370 Kinder werden insgesamt an der Studie teilnehmen: 170 aus Kindergärten im Raum Würzburg und jeweils 100 aus Bamberg und Berlin. Projektbetreuerin in Bamberg ist Prof. Cordula Artelt, Inhaberin des Lehrstuhls für Empirische Bildungsforschung der Universität Bamberg; in Berlin ist Prof. Petra Stanat, Direktorin des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) an der Humboldt-Universität, dafür verantwortlich. Um die Koordination kümmern sich Regina Götz und Dana Jäger, Doktorandinnen am Lehrstuhl von Wolfgang Schneider.


Die Rolle der Erzieherinnen

Mehrere Aspekte werden die Wissenschaftler im Laufe dieser Studie untersuchen. Zum einen natürlich die Frage, ob die Kombination aus musikalischer und phonologischer Frühförderung einen besseren Erfolg erzielt als das Sprachtraining alleine. Zum zweiten gehen sie der Frage nach, ob es einen Einfluss hat, wie vertraut die Erzieherinnen mit dem Hören-Lauschen-Lernen-Programm sind. "Wir haben in unserer ersten Studie gesehen, dass Erzieherinnen, die mit der Durchführung des Trainingsprogramms vertraut waren, insgesamt größere Trainingszugewinne erzielt haben als Erzieherinnen, die über keine oder nur wenig Erfahrung verfügten", sagt die Projektmitarbeiterin Dana Jäger. Deshalb soll ein Teil der Erzieherinnen für die jetzige Studie zuvor eine noch intensivere Schulung erhalten.

Wenn Erzieherinnen vertraut im Umgang mit dem Trainingsprogramm waren, hat sich dies insbesondere für zwei Gruppen von Kindern positiv bemerkbar gemacht: einmal bei Kindern mit Migrationshintergrund, bei denen ein oder beide Elternteile nicht deutschsprachig sind. Und zum anderen bei sogenannten "Risikokindern", also Kindern, die schon vor Beginn des Trainings einen niedrigen Grad an phonologischer Bewusstheit zeigten. "Kinder aus diesen Gruppen haben nach dem Training zwar nicht ganz das Niveau von trainierten Muttersprachlern erreicht", sagt Wolfgang Schneider. Im Vergleich zu untrainierten Kindern dieser Teilgruppen hätten sie aber einen deutlichen Leistungssprung gezeigt.


Die Rolle der Eltern

Deshalb werden die Wissenschaftler im jetzigen Projekt diese beiden Gruppen intensiver betrachten. "Da hilft es uns ganz gut, dass Berlin mit im Boot ist. Dort trifft man sehr viel mehr Kinder mit Migrationshintergrund an als in Würzburg oder Bamberg", sagt Schneider. Gefordert sind dann auch deren Eltern. Die sollen in einem Fragebogen Auskunft darüber geben, ob und - wenn ja - wie sie ihre Kinder zu Hause sprachlich fördern, ob sie beispielsweise ihnen vorlesen und Geschichten erzählen oder ob sie mit ihnen singen.

Die Vorarbeiten für das Forschungsprojekt sind inzwischen abgeschlossen, Kindergärten und Erzieherinnen, die sich daran beteiligen, sind rekrutiert. Im Frühjahr 2013 werden die ersten Kinder mit der musikalischen Frühförderung beginnen; insgesamt werden sich die verschiedenen Trainings bis Juli 2014 hinziehen. Danach rechnen die Wissenschaftler mit etwa einem Jahr, das es dauern wird, die gewonnenen Daten auszuwerten und einen Abschlussbericht zu verfassen. Gut möglich, dass es dann neue Vorschläge gibt, wie man den Anteil der Kinder eines Jahrgangs reduzieren kann, denen das Lesen- und Schreiben-Lernen übermäßig schwer fällt.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution99

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Robert Emmerich, 27.11.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. November 2012