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BERICHT/052: Kommunikation mit Hindernissen (idw)


Friedrich-Schiller-Universität Jena - 21.08.2007

Kommunikation mit Hindernissen

Von der 13. Europäischen Konferenz zur Entwicklungspsychologie an der Universität Jena


"Politik braucht Forschung", sagt Dieter Wolke. Der Professor of Developmental Psychology and Individual Differences der Universität Warwick in Coventry/Großbritannien leitet die Podiumsdiskussion "Entwicklungswissenschaft trifft Politik" anlässlich der 13th European Conference on Developmental Psychology. Diese bedeutendste Tagung der europäischen Entwicklungspsychologen wird vom 21.-27. August 2007 durch das Center for Applied Developmental Science (CADS) der Friedrich-Schiller-Universität Jena ausgerichtet.

Die Kommunikation zwischen Forschung und Politik birgt so manche Herausforderung. Das hat einen einfachen Grund: "Wissenschaftler sind zumeist keine Politiker und Politiker sind keine Wissenschaftler", erläutert Wolke. "Wissenschaftler bevorzugen lineare Abläufe, von der Grundlagenforschung über die Angewandte Forschung hin zur tatsächlichen Anwendung ihrer Erkenntnisse." Das Interesse von Wissenschaftlern sei es, methodisch sauber zu forschen und die Befunde zu kommunizieren. Zu bestimmten Themen werde die Wissenschaft auch durch die Gesellschaft befragt - und müsse dann akzeptieren, dass die Gesellschaft trotzdem manchmal wider besseren Wissens entscheidet. "Politiker hingegen sind für vier oder fünf Jahre gewählt", sagt der Professor. "Wenn sie sich für Veränderungen einsetzen, dann immer auch mit Blick auf ihre Wählerschaft: Werden die Wähler dieses Engagement wahrnehmen? Lässt sich für diese Veränderung eine Mehrheit organisieren - und wenn nicht: Hat der Einsatz für dieses Thema trotzdem positive Auswirkungen auf das eigene Profil und kann dazu beitragen, dass der Politiker wiedergewählt wird?" Kommunikation zwischen Wissenschaft und Politik sei oft nur möglich, wenn Forscher Zugang zu Politikern haben - und den sichern sie sich durch die Mitarbeit in Stiftungen, Komitees etc.

Kontakt zwischen Politik und Wissenschaft birgt Konfliktpotenzial

Der Kontakt zwischen den beiden Welten bringt zudem ein gewisses Konfliktpotenzial: "Wenn die Politik sich an die Wissenschaft wendet, dann hat sie meistens ein Problem, das sie gelöst haben möchte", meint Wolke. "Sie vergibt einen Forschungsauftrag und wünscht, dass innerhalb kürzester Zeit Ergebnisse auf dem Tisch liegen." Mitunter beauftragen Politiker Wissenschaftler aber auch aus taktischen Überlegungen heraus, berichtet der Professor: "In diesem Falle wird Forschung Teil des politischen Spiels. Man versucht, unpopuläre Entscheidungen zu verschieben, indem erst einmal ein Gutachten oder Forschungsprojekt in Auftrag gegeben wird. Oder man benutzt Forschung sozusagen aus kosmetischen Gründen - um sagen zu können, dass an dem Thema gearbeitet wird."

Wissenschaftler hingegen haben das Ziel, die Gesellschaft mit der Kraft ihrer Argumente zum Umdenken zu zwingen. Sie setzen darauf, dass sich brisante Forschungsergebnisse auch außerhalb der Fachkreise herumsprechen und so Medien, Politiker und Gesellschaft erreichen. Sie wollen dazu beitragen, dass Entscheidungen auf der Grundlage von Fakten getroffen werden.

"Es gibt gelegentlich Forschungsergebnisse, die die Gesellschaft dazu zwingen, zu handeln", sagt Prof. Wolke. Seine Studien, besonders die zu Risikokindern, hatten schon mehrfach massive politische Konsequenzen. So hat er mit seiner Arbeitsgruppe 2005 in einer renommierten Fachzeitschrift, dem New England Journal of Medicine, eine Studie veröffentlicht, die weltweit ethische Diskussionen auslöste. Die Forscher haben über mehrere Jahre hinweg die Entwicklung extrem frühgeborener Kinder beobachtet. "Kinder, die vor der 26. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen, benötigen eine hochintensive medizinische Behandlung. Dadurch entstehen hohe Kosten, oft in Höhe von mehreren hunderttausend Euro", erläutert Wolke. "Doch trotz aller Bemühungen der Ärzte nimmt nur ein Teil dieser Kinder anschließend eine normale Entwicklung. Viele von ihnen haben noch Jahre später mit Problemen zu kämpfen und sie bleiben teilweise schwer behindert."

Medizinischer Fortschritt und ökonomische Nebenwirkungen

Der medizinische Fortschritt führe dazu, dass mehr extrem kleine "Frühchen" überleben. "Doch das ist verbunden mit teilweise schweren Nebenwirkungen wie Hirnblutungen", so Wolke. "Der Anteil behinderter Kinder verringert sich nicht." Welche Konsequenzen aber soll die Gesellschaft aus diesen Erkenntnissen ziehen? "Als Wissenschaftler stelle ich meine Forschungsergebnisse zur Diskussion", meint der Professor. "Die Gesellschaft muss dann entscheiden, was getan werden soll - dazu muss sie auch wissen, was es kostet. Und dabei geht es nicht nur ums Geld." In derart spektakulären Fällen wird die Kommunikation zwischen Politik und Forschung häufig durch die Medien vermittelt: "Mitunter sind Befunde so stark, dass die Presse sie aufgreift - selbst wenn sie gegen gehaltene Meinung stehen und zunächst nicht mehrheitsfähig sind."

Für das Podiumsgespräch will Professor Wolke Gesprächspartner aus Deutschland, Österreich und Großbritannien zusammenbringen, die Erfahrungen mit Auftragsforschung haben. Die Diskussion wird zeigen, welche Erfahrungen Wissenschaftler und ihre Auftraggeber damit gemacht haben. So führt Professor Ted Melhuish von der Universität London/Großbritannien eine große Evaluationsstudie für die britische Regierung durch, berichtet Wolke. "Diese unterstützt Gemeinden mit sozialen Brennpunkten mit Milliardenprogrammen, zum Beispiel bei der Gewalt- und Alkoholismusprävention. Die Wissenschaftler um Melhuish erhielten den Auftrag herauszufinden, was solche Programme tatsächlich bewirken."

Jenaer Psychologe präsentiert erfolgreiche Interventionsprogramme

Auf dem Podium sitzt auch Sharon Witherspoon, stellvertretende Vorsitzende der Nuffield Foundation, eine der führenden Stiftungen Europas. Sie hat unter anderem drei große Studien in Auftrag gegeben, um nach Lösungen für die Probleme Heranwachsender zu suchen. Eingeladen hat Wolke auch Prof. Dr. Rainer K. Silbereisen von der Friedrich-Schiller-Universität Jena: "Er hat reiche Erfahrungen mit Interventionsprogrammen und konnte damit in Thüringen viel bewegen." Teilnehmen wird auch Prof. Dr. Christiane Spiel, Universität Wien/Österreich, die schon seit vielen Jahren Schulforschung betreibt und zahlreiche Projekte in Sachen Evaluation und Qualitätsmanagement von Bildungseinrichtungen geleitet hat.

Die Forscher werden erläutern, was sie sich davon versprechen, wenn sie an politisch sensiblen Themen arbeiten. Sie werden berichten, ob und wie ihre Erkenntnisse verwendet wurden und welche Auswirkungen ihre Forschung auf die Gesellschaft und politische Entscheidungsprozesse hatte. Das Gespräch soll Vorteile, Herausforderungen und Fallgruben in der Zusammenarbeit zwischen Politikern, Stiftungen und Forschern aufzeigen und Empfehlungen erarbeiten, wie dieses System für alle Beteiligten effektiver werden könnte. "Leider ist es uns nicht gelungen, Politiker für diese Podiumsdiskussion zu gewinnen", beklagt Gesprächsleiter Wolke. "Der August ist für Politiker leider Urlaubszeit."

Weitere Informationen unter:
http://www.esdp2007.de/index.htm

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution23


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Anke Müller, 21.08.2007
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2007