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FORSCHUNG/222: Schon Schimpansen und Kleinkinder wollen unsoziales Verhalten bestrafen (idw)


Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften - 19.12.2017

Rache ist süß und teuer: Schon Schimpansen und Kleinkinder wollen unsoziales Verhalten bestrafen


Damit wir in Gemeinschaften zusammenleben können, müssen wir miteinander kooperieren. Um das zu organisieren, bestrafen wir Mitmenschen, wenn sich diese unkooperativ verhalten. Bisher war unklar, wann sich in uns der Antrieb entwickelt, dieses Verhalten zu bestrafen - und ob diese Eigenschaft eine rein menschliche ist. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts (MPI) für Kognitions- und Neurowissenschaften und des MPI für evolutionäre Anthropologie in Leipzig haben nun herausgefunden, dass bereits sechsjährige Kinder und Schimpansen unsoziales Handeln rügen wollen - und dafür sogar bereit sind, Kosten und Mühen auf sich zu nehmen, um selbst dabei sein zu können, wenn derjenige bestraft wird.

Wenn wir einen anderen leiden sehen, fühlen wir uns in der Regel unwohl und wollen ihm helfen. Dieses Gefühl kann sich jedoch auch ins Gegenteil umkehren. Wenn sich eine Person zuvor unsozial verhalten hat, kann es sogar vorkommen, dass wir freudig beobachten, wie ihr Schmerzen zugefügt werden. Aus früheren Studien ist bekannt, dass wir ihr Leid dann als verdiente Strafe und ein Mittel ansehen, ihr Fehlverhalten zu ahnden. Und nicht nur das: Wir empfinden Schadenfreude, wenn wir der Maßregelung zuschauen.

Bisher war nur wenig über den evolutionären Ursprung dieser Verhaltensweise bekannt. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts (MPI) für Kognitions- und Neurowissenschaften aus der Abteilung Soziale Neurowissenschaften gingen daher gemeinsam mit Kollegen des MPI für Evolutionäre Anthropologie der Frage nach, in welchem Alter sich bei uns die Motivation entwickelt, einer aus unserer Sicht verdienten Strafe zuzusehen - und ob diese Eigenschaft sogar bereits bei Schimpansen als unseren nächsten Verwandten vorhanden ist.

Um das Verhalten der Kinder zu untersuchen, nutzten die Forscher ein Puppentheater, in dem nacheinander zwei Charaktere mit unterschiedlichen sozialen Rollen auftraten. Eine freundliche Figur, die ihnen ihr Lieblingsspielzeug zurückgab, oder eine bösartige Puppe, die es für sich behielt. Dazu ein Tier, das die strafende Rolle übernahm und vorgab, die beiden mit einem Stock zu schlagen. Die kleinen Zuschauer im Alter zwischen vier und sechs Jahren konnten nun entscheiden, ob sie die vorgetäuschten Schläge weiter mitverfolgen wollen, indem sie mit einer Münze dafür bezahlten. Oder ob sie lieber darauf verzichteten und das Geldstück in Sticker eintauschten.

Und tatsächlich: Im Falle der gutgesinnten Figur lehnten es die Kinder in der Regel ab, dabei zuzusehen, wie sie leidet. Ging es jedoch an den Bösewicht, verzichteten unter den Sechsjährigen signifikant viele auf die Sticker und investierten ihre Münzen lieber dafür, seine Bestrafung mitzuerleben. Und nicht nur dass: Sie erlebten sogar regelrechte Freude, als sie ihn leiden sahen, ausgedrückt in ihrer Mimik. Bei den vier- und fünfjährigen Zuschauern zeigte sich dieses differenzierte Verhalten gegenüber den beiden gegensätzlichen Figuren noch nicht.

Ähnliches beobachteten die Wissenschaftler auch bei den Schimpansen. Deren Ambitionen unsoziales Verhalten zu bestrafen, testeten sie im Forschungsbereich des MPI EVA des Leipziger Zoos mithilfe zweier Pfleger, die ebenfalls in die beiden gegensätzlichen sozialen Rollen schlüpften - die prosoziale und die antisoziale. Während der eine den Tieren stets ihr Futter gab, nahm der andere es ihnen wieder weg. Eine weitere Person gab daraufhin vor, beide mit einem Stock zu schlagen. Auch hier nahmen signifikant viele Schimpansen Mühe und Kosten auf sich um mitzuerleben, wie der ungeliebte Pfleger bestraft wird. Sie hatten dafür eine schwere Tür zu einem Nebenraum zu öffnen, von wo aus sie die Szenerie beobachten konnten. Im Falle der freundlichen Person verzichteten sie hingegen darauf. Vielmehr protestierten sie sogar lautstark dagegen, dass ihm Schmerzen zugeführt würden.

"Unsere Ergebnisse zeigen, dass bereits sechsjährige Kinder und sogar Schimpansen ungerechtes Verhalten bestrafen wollen und einen Drang verspüren zu beobachten, wie andere für ihr unsoziales Verhalten bestraft werden. Hier liegen also die evolutionären Wurzeln für diese Verhaltensweise, die ganz wesentlich ist, um das Leben in Gemeinschaften zu organisieren", erklärt Natacha Mendes, Wissenschaftlerin am MPI CBS und eine der beiden Erstautoren der zugrundeliegenden Studie, die gerade im renommierten Fachmagazin Nature Human Behaviour erschienen ist. "Wir können zwar nicht eindeutig sagen, ob die Kinder und die Affen dabei tatsächlich Schadenfreude empfinden. Ihr Verhalten ist aber ein eindeutiges Zeichen dafür, dass sowohl Kinder ab einem Alter von sechs Jahren als auch Schimpansen den Drang haben, dabei zuzusehen, wie andere für ihr unkooperatives Verhalten bestraft werden", ergänzt Nikolaus Steinbeis, ebenfalls Erstautor der Studie und Wissenschaftler am MPI CBS sowie des University College in London.


Originalpublikation:
Natacha Mendes, Nikolaus Steinbeis, Nereida Bueno-Guerra, Josep Call, Tania Singer:
"Preschool children and chimpanzees incur costs to watch punishment of antisocial",
Nature Human Behavior (2017)



Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution2155

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften,
Verena Müller, 19.12.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Dezember 2017

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