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SOZIALES/103: Männer und Frauen sind verschieden (forsch Uni Bonn)


forsch 1/2007 - Februar 2007
Bonner Universitäts-Nachrichten

(Vor)Urteile
Männer und Frauen sind verschieden - aber wie?

Von Ulrike Eva Klopp


"Das ist der rote Aktenordner rechts." Der Kollege guckt erstmal links nach dem grünen. Sie grinst oder ist genervt, je nach Stimmung. Dafür steht sie etwas später an der Kaffeemaschine mit Kolleginnen zusammen, flüstert und kichert. Nun ist er genervt. Oder lächelt in sich hinein: Typisch! Wirklich?

Frauen sind anders. Männer auch... Ganze Literatur- und Filmgenres leben von diesem unerschöpflichen Thema. Auch zum Arbeitsplatz nimmt man geschlechtstypische Kommunikation, Talente und Schwächen unweigerlich mit. Die sind zum Teil biologisch begründet. So sitzt zwar in jedem menschlichen Gehirn links das Sprachzentrum und rechts die räumliche Orientierung. Aber bei Mann und Frau gibt es Unterschiede, die beeinflussen, wie Informationen aufgenommen und verarbeitet werden. Der andere Teil wird durch Erziehung und Geschlechterrollen beeinflusst.


Physio-Logisches

"Dass Männer häufiger rechts und links verwechseln als Frauen stimmt nicht", sagt der Entwicklungspsychologe Dr. Michael Kavsek. "Bei ihnen ist die Asymmetrie der Gehirnhälften rechts sitzt die Raumorientierung, links die Sprache - deutlich ausgeprägter. Das hilft bei der Zuordnung." Aber eine rot-grün-Schwäche haben definitiv mehr Männer. "Diese Sehschwäche ist angeboren und im X-Chromosom verankert, das von der Mutter kommt ohne sich jedoch zwangsläufig bei ihr auszuwirken. Sie ist also 'Schuld', wenn ihr Sohn nicht Jetpilot werden kann", schmunzelt Kavsek, "aber sonst ist das nicht weiter tragisch."

Eine Hypothese zum männlichen Orientierungsvermögen bezieht sich auf die Evolution: Dass der Mann als Versorger sich räumlich orientieren können musste, habe sich bis heute erhalten. Der Geograph Wolfgang Schmiedecken hat die Erfahrung gemacht: "Wenn wir auf Exkursionen nach Karte herumlaufen, klappt das - oder auch nicht. Egal, ob ein Mann oder eine Frau die Ansage macht." Das wiederum würde zu den Erkenntnissen der "Berliner Altersstudie" passen: Demnach können Bildung und Erziehung geschlechtsspezifische Anlagen verstärken oder auch ausgleichen.


Sprache - und Missverständnisse

"Bei Frauen ist das Sprachzentrum deutlicher lokalisierbar als bei den Männern, vorwiegend in der linken Gehirnhälfte, aber auch in der rechten", erklärt Dr. Kavsek. "Außerdem regen die weiblichen Östrogene die Nervenfasern an, mehr Verbindungen zu schaffen. Frauen können deshalb intuitiver und in mehr Zwischentönen sprechen und verstehen." Die geradlinigen Männer kennen das - sie bevorzugen eine klare Ansage. "Außerdem wird die sprachliche Veranlagung von Mädchen zusätzlich gefördert: Man hat herausgefunden, dass Mütter mit ihren Töchtern mehr reden als mit den Söhnen."

Dass Frauen tatsächlich mehr Worte verwenden, wurde in Studien bestätigt: nämlich fast doppelt so viele wie Männer. Aber warum reden Männer und Frauen so oft aneinander vorbei? "Da muss man sich fragen, ob wirklich nur Männer und Frauen aneinander vorbei reden, oder ob das nicht auch sonst passieren kann", erklärt Sprachwissenschaftler Dr. Jan Seifert. "Auch hat man unterstellt, dass Männer sich häufiger durchsetzen können, indem sie Gesprächspartner unterbrechen. Aber Untersuchungen zum 'Rederechts-Management' deuten eher darauf hin, dass das eine Typ-Frage ist." Ebenso verhält es sich mit der Annahme, dass Klatsch und Tratsch Frauensache sei. Häufig passiert es, dass man von Einzelbeobachtungen zu schnell auf allgemeine Verhältnisse schließt und Stereotype bedient. "Wir wissen, dass wir alle unterschiedlich sprechen. Das hängt von Einflussfaktoren wie der Herkunft, der Generationszugehörigkeit, der Bildung, allgemein von der Sozialisation ab", so Seifert. "Um eine spezifische Männer- oder Frauensprache zu zeigen, müsste man den Einflussfaktor 'Geschlecht' isolieren, und das ist problematisch."

Unterschiede gibt es aber in der Art, wie Sprache klingt - und wirkt.


(K)ein weinender Indianer

Frauen sollen mehr Schmerz aushalten können nach dem Motto: Wenn Männer die Kinder kriegen müssten, gäbe es noch weniger davon. Stimmt das? "Nein!" sagt Dr. Kavsek. "Experimentelle Studien haben gezeigt, dass Frauen definitiv schmerzempfindlicher sind als Männer. Aber ein und dieselbe Frau empfindet Schmerz zu unterschiedlichen Zeiten verschieden - dafür sind auch wieder die Hormone verantwortlich." So ist im gebärfähigen Alter die Schmerzempfindlichkeit tatsächlich geringer. Und sie schwankt innerhalb des Zyklus.

Frauen hören sensibler in sich hinein und suchen eher Hilfe, während Männer Schmerzen zunächst zu ignorieren versuchen, bis es womöglich zu spät ist. Denn wer als Mann von körperlichem Unwohlsein oder Schmerzen spricht, gilt schnell als "Weichei". Frauen dagegen bekommen oft keine angemessene Schmerztherapie, weil Ärzte ihre Beschwerden nicht ernst nehmen. Die relativ symmetrische Aufteilung ihres Gehirns gewährt den Frauen dagegen einen Rekonvaleszenzvorteil: Ihnen gelingt es nach einer einseitigen Hirnverletzung besser als Männern, einen Teil der Defizite auszugleichen. Dass Männer und Frauen bei ein und demselben Leiden durchaus unterschiedliche Symptome zeigen können und auch Arzneien unterschiedlich wirken, ist eine noch relativ junge Erkenntnis, die derzeit verfolgt wird.

Wenn Männer bei einer simple Erkältung zum "weinenden Indianer" werden, möchten sie wohl eher ein bisschen umsorgt werden. Denn verständnisvoll und fürsorglich zu sein, wird eher den Frauen zugesprochen. Ist das ein Grund, warum Chefs gerne eine Sekretärin haben? Oder ist es eine andere Fähigkeit von Frauen?


Multitasking

Die geschmeidige Verknüpfung beider Hirnhälften bei Frauen sorgt auch für das sogenannte "Multitasking" - mehrere Dinge gleichzeitig tun zu können. So lässt Mama einen Ordnungsruf an den Nachwuchs los, der in der Küche heimlich an den Kühlschrank gegangen ist. Dabei telefoniert sie doch mit der Freundin, redet, hört zu - und verfolgt gleichzeitig einen Film... Papa liest und nimmt die Umwelt nicht mehr wahr. Es sei denn, er wird direkt angesprochen oder die Katze setzt sich auf die Zeitung.


Problemlösungen sind auch Typfrage

Wenn Dr. Jörg Longmuß Seminare zum Projektmanagement durchführt, fällt ihm immer wieder eines auf. "Mann oder Frau - das ist nicht der entscheidende Unterschied! Auffälliger ist der zwischen den Fachkulturen, also ob ich Verwaltungsmitarbeiter oder Wissenschaftler, Soziologen oder Physiker vor mir habe." Jenseits von Fachinhalten, wenn es um Gruppendynamik und Zusammenarbeit geht, bemerkt er: "Das Interesse bei Männern, sich auf diese persönliche Ebene einzulassen, ist ebenso groß wie bei den Frauen. Denen fällt das vielleicht nicht wirklich leichter, aber sie wirken vielfach geübter darin, über persönliche Wahrnehmungen und Gefühle zu sprechen." Bei jeder halbwegs komplexen Aufgabe im Seminar und um so mehr im "richtigen" Leben empfiehlt er: "Für den Erfolg ist die Transferleistung entscheidend! Und dafür steht ein gemischtes Team."

"Das unterstreiche ich auf jeden Fall", sagt Personaldezernentin Chris Müller von Baczko. "Dabei macht es allerdings gar nicht unbedingt etwas aus, ob Mann oder Frau eine Sache angehen, sondern vor allem, was für 'Typen' das sind. Eher emotionale oder rationale, flexible oder lieber einem vertrauten Muster folgende, innovative oder bewahrende Charaktere erlebe ich bei beiden Geschlechtern. Ein auch in dieser Hinsicht gemischtes Team ist oft kreativer und effizienter, als ein eher einheitlich geprägtes."


Raub oder "einfacher Diebstahl?

Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt es definitiv, wenn sie straffällig werden. Dr. Torsten Verrel, Professor für Kriminologie, Strafvollzugswissenschaft und Jugendstrafrecht, bestätigt: "Ja, das Geschlecht ist die trennschärfste Variable bei der Erklärung von Kriminalität. Bei den polizeilich bekannten Gewaltdelikten sind fast 90 Prozent der Tatverdächtigen männlich." Gibt es typisch männliche, typisch weibliche Delikte? "Raub - also Diebstahl unter Gewaltanwendung oder -androhung - und Körperverletzung werden, auch im Dunkelfeld, ganz überwiegend von Männern begangen. Bei Ladendiebstahl, anderen Eigentums- und Vermögensdelikten, Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, Aussagedelikten und Schwarzfahren haben wir nicht so gravierende Unterschiede zwischen den Geschlechtern", weiß Verrell. "Offenbar ist es so, dass Frauen auf Probleme seltener durch nach außen getragene Aggression reagieren, sondern andere Problemlösungstechniken haben oder eher als Männer selbstschädigendes Verhalten wie Medikamentenmissbrauch zeigen. Interessant ist auch, dass der Frauenanteil von der polizeilichen Registrierung bis zur Verurteilung immer geringer wird und vor allem unter den zu einer Gefängnisstrafe Verurteilten besonders niedrig ist." Ob das daran liegt, dass die Schwere der Taten geringer ist, und/oder Frauen häufiger eine günstigere Bewährungsprognose gestellt wird, oder ob Frauen nachsichtiger behandelt werden, lässt sich nicht genau sagen. Übrigens: Abgesehen von Sexualstraftaten ist das Risiko von Frauen, Opfer eines Gewaltdelikts zu werden, geringer als bei den Männern. Bei den übrigen Delikten verteilt sich das Opferrisiko weitgehend gleich.


Ein (graues) Haar in der Suppe

Mädchen sollen in ihrer Entwicklung schneller sein als Jungen. "Das stimmt tatsächlich", sagt Dr. Kavsek. "Und zwar sowohl in punkto Wachstum, körperlicher Reife und Sprache als auch bei der Entwicklung des Gehirns." Voraus sind Frauen gleichaltrigen Männern später allerdings auch in negativ empfundener Weise: Warum gelten Männer mit grauen Schläfen eher als attraktiv, Frauen als alt? Durch die nachlassende Produktion des Pigments Melanin wird das Haar immer heller; graue Haare werden als Zeichen für fortgeschrittenes Alter gewertet. Einerseits symbolisiert es Dominanz durch Erfahrung, zum anderen aber auch ein Ausscheiden aus dem Kampf um Fortpflanzung. Das stimmt zumindest bei Frauen und gibt als deutlicher Lebenseinschnitt zu denken. Ein Mann dagegen kann theoretisch auch in weitaus höherem Lebensalter noch Nachwuchs zeugen - und gilt sogar kahlköpfig vielen als attraktiv.

Robert Lembke hat einmal gesagt: "Alt werden ist natürlich kein reines Vergnügen. Aber denken wir an die einzige Alternative." Und diese gilt unweigerlich für beide Geschlechter - wenn auch für Frauen statistisch gesehen einige Jahre später.


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Quelle:
forsch - Bonner Universitäts-Nachrichten Nr. 1, Februar 2007, Seite 7-9
Herausgeber:
Rektorat und Senat der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
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forsch erscheint viermal pro Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. März 2007