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GESELLSCHAFT/218: Nackt unter Scannern - Bloß keine Blöße geben (idw)


Evangelische Fachhochschule Darmstadt - 04.01.2010

Nackt unter Scannern - Bloss keine Blösse geben


Menschen können gescannt werden. Bis unter die Wäsche. Die Sicherheitsbehörden am Flughafen jubeln. Die Fluggäste wehren ab. Wie würde sich der Einzelne entscheiden, wenn man ihm beim nächsten Abflug am Frankfurter Flughafen anbieten würde, sich am Testlauf eines Körperscanners zu beteiligen und damit eine Stunde Wartezeit in der Schlange beim Einchecken zu sparen? Wir fragten die Psychologin Prof. Dr. Bettina Schuhrke von der Evangelischen Fachhochschule Darmstadt.

Bereits Anfang September vorigen Jahres wurde eine Verordnung zur Luftverkehrssicherheit von der EU-Kommission und auf Länderebene von Ministerialbeamten abgesegnet, um nichtmetallische Waffen und Sprengstoff besser erkennen zu können. Es wurde den Mitgliedsstaaten erlaubt, Ganzkörperscanner zur Durchleuchtung von Fluggästen einzusetzen. Adam und Eva erscheinen nur noch im Adamskostüm auf dem Bildschirm des Sicherheitspersonals. Dann schaltete sich überraschend das EU-Parlament ein und setzte eine Diskussion um Datenschutz und Menschenrechte in Gang.

Aber es waren wohl weniger rationale Argumente als vielmehr gute alte irrationale Emotionen, die viele aufschrecken ließen. Gemeint ist streng genommen eine Palette möglicher Emotionen, die sich rund um Scham gruppieren lassen, z.B. auch Peinlichkeit und Verlegenheit. Sie werden aktiviert, wenn Bloßstellung vor einer Öffentlichkeit droht. Aus der Sicht der betroffenen Person besteht die Gefahr von anderen negativ bewertet, abgelehnt und im Extrem sogar aus einer sozialen Gruppe ausgegrenzt zu werden. Quasi nackt gesehen zu werden ist nicht per se schamauslösend, sondern nur unter bestimmten Bedingungen. Da gibt es Ähnlichkeiten zwischen Personen, aber eben auch individuelle Unterschiede. So zweifelte eine Porno-Darstellerin nach einem Vortrag an, dass Körperscham ein universelles Gefühl sei. Sie empfinde bei den Drehaufnahmen keinerlei Scham. Im Weiteren stellte sich allerdings heraus, dass es ihr peinlich wäre, sich vor anderen Personen der Unterwäsche zu entledigen und dass sie dies auf dem Set vermied.

Nacktheit kann mit der Scham völlig entgegengesetzten Gefühlen verbunden sein - mit Stolz, sogar mit Macht über andere, wenn wir den Körper mit Attributen wie schön, funktionstüchtig, stark, aufregend verbinden oder wenn andere sogar durch die Präsentation der Geschlechtsteile erschreckt oder beschämt werden. Aber wir sind leicht der Scham ausgesetzt, wenn Defizite oder Besonderheiten im Vordergrund stehen, die in der Vorstellung Ansatzpunkte für abfällige Bewertungen bieten. So wird von Kritikern des Körperscans berichtet, er decke über Fettpolster, Genitalschmuck bis zu Prothesen und künstlichen Darmausgängen alles auf. Körperscham, vor allem Genitalscham, findet sich nach der Überzeugung des Ethnologen Hans Peter Dürr kulturübergreifend. Zwar unterscheiden sich Kleiderordnungen beträchtlich und man kann sich offensichtlich mit einer Schamschnur oder Peniskalebasse ebenso gut bekleidet fühlen wie mit einer Burka oder einem locker über der Hose getragenen Hemd. Selbst dort, wo völlig auf Kleidung verzichtet wird, schützen geschickte Sitzpositionen und Reglementierungen des Blickverhaltens intime Körperregionen. Darauf zu starren wird als Respektlosigkeit, als entwürdigend und als Verlust der Kontrolle über die eigene Körpersphäre erlebt.

Scham ist besonders mit der Wahrnehmungsmodalität des Sehens assoziiert; der Blick signalisiert, dass man Objekt der Aufmerksamkeit anderer und ihrer Beurteilung ist. Jede und jeder kann sich fragen: wie werde ich mit der Situation umgehen, wenn ich demnächst am Flughafen in eine Kabine gebeten werde? Man könnte rational der Scham entgegenarbeiten, indem z.B. Gedanken an das Personal ausgeblendet werden und man sich sagt, dass dies doch alles eine höhere Sicherheit garantiere. Aber wollen wir solche Formen der Emotionsarbeit als neue Bürgerpflicht in Kauf nehmen oder nicht doch lieber mit politischen Mitteln Grenzen der Privatsphäre markieren?

(aus: Kreuz&Quer Nr. 29, das Hochschulmagazin der Evangelischen Fachhochschule Darmstadt)

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Kreuz&Quer Nr. 29, das Hochschulmagazin der Evangelischen Fachhochschule Darmstadt

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Evangelische Fachhochschule Darmstadt, Prof. Bernhard Meyer,
04.01.2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2010