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GESELLSCHAFT/326: Armut von Familien in Deutschland - Entwicklung und Ursachen (idw)


Johannes Gutenberg-Universität Mainz - 03.04.2018

Armut von Familien in Deutschland: Entwicklung und Ursachen

Mainzer Soziologin Mara Boehle erklärt die Ursachen von Armut in Familien auf dem 1. Kongress der Akademie für Soziologie "Wachsende Ungleichheit - gespaltene Gesellschaft?"


Armut von Familien mit Kindern gilt in Deutschland als eines der größten sozialpolitischen Probleme. Dennoch ist in der Forschung wenig über den genauen zeitlichen Verlauf der Familienarmut und ihre Ursachen bekannt. "Der Vielzahl an Armuts- und Sozialberichten, die das deutlich überdurchschnittliche und ansteigende Armutsrisiko von Eineltern-, Mehrkind- und Migrantenfamilien anhand verschiedener Datenquellen dokumentieren, stehen kaum Beiträge gegenüber, die sich systematisch mit den Ursachen dieser Entwicklung beschäftigen", so Dr. Mara Boehle, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Boehle hat zuletzt am 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung mitgearbeitet. Auf dem diesjährigen Kongress der Akademie für Soziologie, der vom 4. bis 6. April 2018 in München stattfindet, stellt sie die Ergebnisse ihrer neuen Armutsstudie, die im Herbst im Springer-Verlag erscheinen wird, erstmals vor.

Als Armutsindikator verwendet Boehle die international gängige Definition, wonach als arm gilt, wessen real verfügbares Haushaltseinkommen weniger als 50 Prozent unter dem mittleren Einkommen der Gesamtbevölkerung liegt. Ihre statistischen Berechnungen mit Repräsentativdaten des Mikrozensus zeigen, dass Familienarmut zeitlich keineswegs kontinuierlich zugenommen hat: "Nach einem Anstieg in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren blieb der Anteil der armen Familien bis Mitte der 1990er-Jahre konstant hoch. Etwa die Hälfte aller statistisch Einkommensarmen lebte damals in Haushalten mit Kindern", so die Soziologin. Danach sank die Armut der Alleinerziehenden bis 2006 deutlich ab, um bis 2009 wieder anzusteigen. Für die folgenden Jahre zeigt sich auf Basis anderer Studien, dass sich die Armut von Alleinerziehenden und Haushalten mit drei oder mehr Kindern auf hohem Niveau stabilisiert hat.

Laut Dr. Mara Boehle haben zwei wichtige Gründe zum langfristigen Armutsanstieg beigetragen: Zum einen ist die Zahl der seit jeher armutsgefährdeten Alleinerziehenden in Deutschland langfristig angestiegen. Die Zunahme dieser Lebensform trägt erheblich zu einem Anstieg der Familienarmut bei. "Parallel aber haben wir auch mehr überdurchschnittlich einkommensstarke kinderlose Paarhaushalte. Ihre Zunahme verschiebt das gesellschaftliche Durchschnittseinkommen nach oben, was statistisch zum Anstieg der Zahl armer Familien beiträgt", erklärt Boehle. Das dauerhaft höhere Armutsrisiko von Familien im Vergleich zu Kinderlosen liegt also nicht nur am Vorhandensein von Kindern als solches. Hinzu kommt die sich seit diesem Zeitpunkt verändernde, polarisierende Zusammensetzung der Bevölkerung in Familienhaushalten und kinderlosen Haushalten.

Die wichtigste Ursache dieses Wandels liegt für Dr. Mara Boehle im unterschiedlichen Ausmaß der Erwerbstätigkeit zwischen Familienhaushalten und kinderlosen Haushalten. Erwerbstätige weisen ein vergleichsweise geringes Armutsrisiko auf. Während der Anteil der Erwerbstätigen in Familienhaushalten besonders in Westdeutschland von 1976 bis 2009 nahezu konstant blieb, stieg die Erwerbsbeteiligung bei den Kinderlosen im gleichen Zeitraum stark an. Die Studie unterstreicht damit, wie wichtig der Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung für die Bekämpfung von Familienarmut ist.


Weitere Informationen zum Kongress "Wachsende Ungleichheit - gespaltene Gesellschaft? Aktuelle Beiträge der empirisch-analytischen Soziologie" sind verfügbar unter:
https://akademie-soziologie.de/konferenzen/

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution218

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Petra Giegerich, 03.04.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. April 2018

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