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MELDUNG/083: Abraham und Dirrell läuten zweite Turnierrunde ein (SB)



Sisyphusarbeit des Berliners um Anerkennung in den USA

Artur Abraham trifft heute abend in der zweiten Runde des Turniers der sechs namhaften Supermittelgewichtler in der Joe-Louis-Arena von Detroit auf den US-Amerikaner Andre Dirrell. Während der Berliner zum Auftakt Jermain Taylor durch K.o. besiegt hatte und mit drei Punkten das Feld anführt, verlor Dirrell im Oktober vergangenen Jahres gegen den Briten Carl Froch knapp nach Punkten. Für ihn sei das kein Grund, schon an ein mögliches Halbfinale zu denken, dämpft Abraham die Erwartungen an einen Durchmarsch: "Ich habe mich gezielt auf diesen Auftritt vorbereitet, bin sehr gut mit der Zeitumstellung klargekommen und will einen guten Kampf zeigen."

Der Aufstieg vom Mittelgewicht, in dem Abraham ungeschlagener Weltmeister der IBF war, ins höhere Limit bekommt ihm offensichtlich gut. Während er sich früher stets quälen mußte, um das geforderte Kampfgewicht einzuhalten, fällt ihm heute die Vorbereitung viel leichter: "In der alten Gewichtsklasse fiel es mir schwer, Gewicht zu verlieren, weil ich dann an Kraft eingebüßt habe. Nun muß ich nur wenige Kilos abnehmen."

Der Mitfavorit des Turniers aus dem Sauerland-Boxstall beginnt seine Kämpfe in der Regel langsam und läßt zunächst den Gegner arbeiten, während er sich hinter einer soliden Deckung verschanzt. Früher oder später zeigt sein Kontrahent Schwächen, worauf Abraham über ihn herfällt und seine enorme Schlagwirkung ausspielt. "Das ist meine Art zu boxen", erklärt er lapidar. "Und diese Art war bisher erfolgreich, schließlich habe ich jeden meiner 31 Profikämpfe gewonnen." Zudem hat er 25 Siege vorzeitig erzielt, was seine Gefährlichkeit unterstreicht.

Der 26 Jahre alte Andre Dirrell boxt trotz seiner Größe von 1,88 Meter sehr schnell und beweglich, wobei er seine Kämpfe vorzugsweise aus der Distanz führt und sich gern frühzeitig Punktvorteile verschafft. Als Rechtsausleger ist er ein unbequemer Gegner, zudem er während eines Kampfes die Auslage wechseln kann. Zumindest mit dem Mund hat er seinen Auftritt bereits gewonnen: "Abraham ist ein kraftvoller Schläger, aber mit richtigen Boxern hat er Probleme. Typen wie ihn hatte ich schon eine Million Mal", schwadronierte er in einem Interview mit der "Detroit Free Press". "Ich bin schnell und beweglich, ich kann aus jeder Lage schlagen. Er wird mit der Geschwindigkeit meiner Schläge und Füße nicht klarkommen." Schon vor Wochen hatte der Olympiadritte von 2004 verkündet, Abraham sei ein harter Bursche, habe eine gute Deckung und könne mit einem Schlag einen Kampf entscheiden: "Darauf verläßt er sich. Aber wenn man die richtigen Bewegungen macht, ist er ziemlich leicht zu besiegen."

"So reden nur Dummköpfe", erwiderte Arthur Abraham. "Ich weiß nicht, warum die ihre Gegner vor dem Kampf beleidigen. Aber in Amerika werden oft Sprüche gemacht. Ich rede lieber nach einem Kampf." In Anbetracht der Voraussetzungen geht man weithin davon aus, daß Abraham seinen Gegner niederschlagen muß, da ihm andernfalls eine Punktniederlage droht. Trainer Ulli Wegner soll seinen Schützling ermahnt haben, schon in den ersten Runden aktiver zu Werke zu gehen, um am Ende nicht auf einen vorzeitigen Sieg angewiesen zu sein. Andererseits ist der Berliner ein Boxer, den sein Killerinstinkt bislang nie im Stich gelassen hat, weshalb er im großen und ganzen so verfahren wird, wie es ihm selbst geboten erscheint, was seiner guten Zusammenarbeit mit Wegner keinen Abbruch tut.

Da Amerikaner für gewöhnlich nur Amerikaner lieben, gleicht für einen europäischen Boxer der Kampf um Anerkennung und Popularität auf der anderen Seite des Atlantiks einer Sisyphusarbeit. "Wir sind in den USA, um die Fans zu begeistern", kündigt Trainer Ulli Wegner trotzig an. "Die Amerikaner werden Arthur lieben." Zumindest Abrahams Boxstil müßte dem US-Publikum eigentlich liegen, das einen satten Niederschlag jedem Punktesammeln vorzieht. Der Berliner plant, seine Talente auf dem nach wie vor lukrativsten Markt nicht unter den Scheffel zu stellen und die Amerikaner nach seinen wenig beachteten Siegen gegen ihre Landsleute Lajuan Simon, Raul Marquez und Elwyn Ayala sowie dem immerhin registrierten Triumph über Jermain Taylor zu beeindrucken: "Ich sehe das ohne Emotionen. Für mich als Sportler gibt es ja eine Zeit von ungefähr zehn Jahren, in denen ich ganz oben sein kann. Also muß ich mich den Spielregeln unterordnen, die mir ja die Möglichkeit bieten, viel Geld zu verdienen. Und wenn ich immer gewinne, dann akzeptieren mich auch die Amerikaner." Deshalb werde er auch Dirrell besiegen, fügte Abraham trocken hinzu.

Gewinnt Abraham auch gegen Andre Dirrell, hat er das Halbfinale des Turniers bereits erreicht, da nach der Vorrunde, in der jeder Teilnehmer drei Kämpfe bestreiten muß, die durch Losentscheid bestimmt wurden, die beiden Boxer mit den wenigsten Punkten ausscheiden. Sein heutiger Gegner kämpft hingegen mit dem Rücken an der Wand, weil er sich keine weitere Niederlage leisten kann, will er seine Felle nicht davonschwimmen lassen. Dirrell, der in 19 Profikämpfen nur gegen Carl Froch nach Punkten verloren hat, gilt zumindest unter Experten auch in den USA als Außenseiter. Auf der abschließenden Pressekonferenz im MGM Grand Hotel beschwor Promoter Gary Shaw ein ums andere Mal, wie schnell und gefährlich sein Boxer sei. "Er ist größer als Arthur, er verfügt über die längere Reichweite und er ist viel beweglicher. Er wird Arthur schlagen", so Shaw. "Außerdem steht das Publikum in Detroit hinter ihm."

Daß man im Lager Dirrells trotz solcher großen Worte gewisse Zweifel am erfolgreichen Ausgang des Kampfs gegen Abraham hat, unterstrich nicht zuletzt der Versuch, entgegen den Vereinbarungen des Turniers ein gewogenes Kampfgericht zusammenzustellen. Promoter Wilfried Sauerland lehnte diese Konstellation ab, da der Ringrichter und ein Punktrichter aus Dirrells Heimatstaat Michigan kommen sollten und zudem der mexikanische Punktrichter, der Dirrell bei der Niederlage gegen Froch als einziger in Front gesehen hatte, nominiert war.

Nach der ersten Runde des Turniers führt der 30jährige Arthur Abraham die Wertung mit drei Punkten vor dem britischen WBC-Weltmeister Carl Froch und WBA-Champion Andre Ward an, die jeweils zwei Zähler auf dem Konto haben. Noch ohne Sieg in dem 50-Millionen-Dollar-Turnier sind der Däne Mikkel Kessler aus dem Sauerland-Boxstall und Allan Green aus den USA, der für Jermain Taylor nachgerückt ist.

27. März 2010