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MELDUNG/854: Zu lange mußte Selcuk Aydin auf diese Chance warten (SB)




Punktniederlage gegen Robert Guerrero in San José

Mehrere Jahre hatte Selcuk Aydin auf die Chance gewartet, sich in den USA mit WBC-Weltmeister Floyd Mayweather zu messen. Der türkische Weltergewichtler aus dem Arena-Boxstall wurde vertröstet, hingehalten und mit dem Rang des Silberchampions abgespeist. Nun endlich bot sich wenigstens die Gelegenheit, um den Titel des Interimsweltmeisters zu kämpfen, dessen Träger offizieller Pflichtherausforderer des Superstars sein soll. Das war zwar genaugenommen auch nicht mehr, als Aydin bereits erreicht hatte, schloß aber einen Auftritt im kalifornischen San José und damit die Möglichkeit ein, sich dem US-amerikanischen Publikum zu empfehlen. Vielleicht war es die jahrelange Ungewißheit, die Selcuk Aydin etwas mürbe gemacht und ihn letztendlich daran gehindert hat, sich wie erhofft zu entfalten und in Kalifornien den Sieg davonzutragen.

Nach einem teilweise erbittert geführten Kampf mußte er sich Robert Guerrero nach Punkten geschlagen geben (117:111, 116:112, 116:112) und damit nach 23 Siegen die erste Niederlage seiner Karriere hinnehmen. Der 28 Jahre alte US-Amerikaner verbesserte seine Bilanz auf 30 gewonnene Kämpfe sowie je einen verlorenen und unentschieden beendeten Auftritt. Rechnet man den damit erworbenen Gürtel des Interimsweltmeisters hinzu, ist Guerrero bereits in der vierten Gewichtsklasse Champion geworden. Den Ausschlag für seinen Erfolg gab nicht nur die technische Überlegenheit, sondern auch der Umstand, daß er selbst in bedrängter Lage nie aufsteckte. Aydin erzielte zwar mit seinen Treffern durchaus Wirkung, konnte aber nicht entscheidend nachsetzen und das Blatt endgültig zu seinen Gunsten wenden.

Robert Guerrero setzte sich von Beginn an mit einer hohen Schlagfrequenz besser in Szene, wenngleich Aydin zweimal mit der Rechten durchkam. Der Kalifornier hielt seinen Gegner auch in der Folge geschickt auf Distanz und mußte erst gegen Ende der dritten Runde einige Treffer einstecken. Im folgenden Durchgang machte der Türke zunächst eine gute Figur, fing sich dann jedoch eine linke Gerade des in der Rechtsauslage boxenden Lokalmatadors ein, die seinen Kopf nach hinten schnellen ließ.

Das Manko Aydins zeichnete sich in dieser Phase bereits deutlich ab, da er nach einer recht guten fünften Runde, in der er einige Körperschläge anbringen konnte, in der nächsten wieder dem Kalifornier die Initiative und damit die Punkte überließ. Als dieser im siebten Durchgang müde zu werden schien, nutzte Aydin dies zu zwei gefährlichen Uppercuts im Infight. Doch in der nächsten Runde drehte der Amerikaner wieder auf und ließ auf diese Weise niemals zu, auf die Verliererstraße getrieben zu werden. Im neunten und zehnten Durchgang hatte Selcuk Aydin dann die klar besseren Szenen, zumal Guerrero nach mehreren Körpertreffern angeschlagen wirkte und sich mit Klammern über diese kritische Phase rettete. In der elften Runde gelang es Aydin wiederum nicht, aus seinem Vorteil Kapital zu schlagen. Er unternahm zu wenig und sah sich in der zwölften und letzten Runde mit einem verbissen kämpfenden Gegner konfrontiert, der sich den Sieg nicht mehr nehmen ließ.

Tief enttäuscht suchte Selcuk Aydin die Fehler nicht bei dem Urteil der Punktrichter, sondern bei sich selbst. Er sei nicht in der Lage gewesen, das umzusetzen, was er sich vorgenommen habe. Zudem habe er ab der vierten Runde alles doppelt gesehen. Vor drei Jahren hätte er einen solchen Gegner noch überrollt, doch an diesem Abend sei er nicht mehr er selbst gewesen. Letzten Endes habe nicht Robert Guerrero ihn geschlagen, sondern das System.

Der Kalifornier zollte im nachfolgenden Interview mit dem übertragenden Sender Showtime seinem Gegner Respekt. Selcuk Aydin sei ein starker Boxer, gegen den niemand antreten wollte. Er selbst sei jedoch entschlossen gewesen, gegen die Besten zu kämpfen, und habe es trotz einer mehr als einjährigen Pause allen gezeigt. Er glaube an sein Talent und seine Fähigkeiten. Vielleicht wäre es günstiger gewesen, etwas taktischer zu Werke zu gehen. Er sei jedoch ein Krieger und habe die harten Treffer einfach abgeschüttelt. Wenn Floyd Mayweather auf diesen Titel scharf sei, solle er nur kommen.

Am 5. Mai hatte Floyd Mayweather, WBC-Weltmeister im Weltergewicht und neben dem Philippiner Manny Pacquiao der anerkannt bester Boxer aller Gewichtsklassen, in Las Vegas den Superchampion der WBA im Halbmittelgewicht, Miguel Cotto, klar nach Punkten besiegt und ihm den Gürtel abgenommen. Der 35 Jahre alte US-Amerikaner blieb damit auch in seinem 43. Profikampf ungeschlagen und wiederholte anschließend seinen Wunsch, sich mit Manny Pacquiao zu messen. Diesem Kampf stehe jedoch dessen Promoter Bob Arum im Weg. Auf die Frage, ob er inzwischen bereit sei, zu diesem Zweck von seiner Forderung abzurücken, 60 Prozent der Einkünfte zu erhalten, antwortete Mayweather jedoch ausweichend. Da er am 1. Juni eine 90tägige Haftstrafe angetreten hat, zu der er wegen häuslicher Gewalt verurteilt worden war, ist mit einem Kampf gegen seinen philippinischen Erzrivalen frühestens gegen Ende des Jahres zu rechnen. Ob Robert Guerrero, der eigentlich als neuer Pflichtherausforderer das Vorrecht erkämpft hat, gegen Mayweather anzutreten, jemals Gelegenheit dazu bekommt, steht in den Sternen.

30. Juli 2012