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MELDUNG/927: Klitschkos Schlag soll die Ukraine auf Westkurs trimmen (SB)




In diesem Hauen und Stechen ist der Boxchampion ein Leichtgewicht

Unter den Argusaugen von fast 4.000 internationalen Beobachtern gingen heute die Parlamentswahlen in der Ukraine über die Bühne. Mit von der Partie ist Vitali Klitschko, der mit seiner Partei Udar (Schlag) die Fahne des prowestlichen Lagers hochhält und damit in dem politisch tief gespaltenen Land gegen die regierende Partei der Regionen um Präsident Viktor Janukowitsch antritt. Die Udar hat Meinungsumfragen zufolge gute Aussichten, auf Anhieb als drittstärkste Kraft ins Parlament einzuziehen. Klitschko, der von seiner Frau Natalja und Leibwächtern begleitet wurde, rief bei der Stimmabgabe im Kiewer Stadtteil Petschersk in "kämpferischer Stimmung" zu einem Machtwechsel auf: "Wir haben heute die Chance, das Land zu ändern!" Er sehe die Wahl als Ringen um europäische Standards und habe den Eindruck, daß die Regierung in einer Parallelwelt lebe. Gehe es nach ihr, sei alles hervorragend, Straßen würden gebaut, Brücken eingeweiht. "Alles wird besser, nur die Bürger merken davon nichts." Klitschko rief seine Landsleute dazu auf, mit dem "Herzen" abzustimmen. "Ich hoffe, daß es keine grundlegenden Wahlverstöße und keine Fälschungen gibt", fügte er hinzu. [1]

Der Boxweltmeister möchte eigenen Angaben zufolge künftig die Opposition anführen: "Ich bin überzeugt, dass es uns gelingen wird, im neuen Parlament alle oppositionellen Kräfte um uns herum zu vereinigen." Das ihm das gelingen könnte, wird jedoch bezweifelt. Zwar hat Udar bereits mit der Swoboda-Partei eine Zusammenarbeit vereinbart, doch eint das oppositionelle Lager im wesentlichen der Kampf gegen den Kurs Janukowitschs und das vage Versprechen, durch eine Ausrichtung der Ukraine auf die westlichen Mächte Europas erwarte die Bevölkerung Fortschritt und Wohlstand. Die rechtsgerichtete Swoboda-Partei - ein Gewächs nationalistischer Tendenzen in der Westukraine - gehörte zu den großen Gewinnern der dortigen Regional- und Kommunalwahlen. [2] Daß die Udar keine Berührungsängste mit dieser Gruppierung hat, läßt ebenso tief blicken, wie ihr kritikloses Eintreten für die inhaftierte Julia Timoschenko, die westlicherseits zur Ikone demokratischen Freiheitsstrebens aufgebaut worden ist.

Der Urnengang gilt als Richtungswahl über den künftigen Kurs der ehemaligen Sowjetrepublik zwischen der EU und Rußland. Hatte die "Orange Revolution" die vorschnelle Hoffnung genährt, das riesige Land mit seinen Bodenschätzen und Agrarflächen an der Schwelle Rußlands werde wie eine reife Frucht in den Schoß westlicher Expansions- und Zugriffsinteressen fallen, so gelang es Janukowitsch wider Erwarten, den bereits angefahrenen Zug zu bremsen. Daß er sich in diesem Machtkampf auch repressiver Mittel bedient, steht außer Frage. Die massive Kritik seitens der USA und EU ist jedoch am allerwenigsten ein Schulterschluß mit all jenen Ukrainern, die ausgebeutet und drangsaliert ein Leben in unsicheren und ärmlichen Verhältnissen zu führen gezwungen sind.

Die EU hat das Assoziierungsabkommen auf Eis gelegt, der US-Senat droht der Ukraine Sanktionen an, um einen Regimewechsel herbeizuführen. Wenn der deutsche Außenminister Guido Westerwelle die Wahl als "wichtige Bewährungsprobe für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit" bezeichnet und "die klare Erwartung" vorgehalten hat, daß die Wahlen frei und fair durchgeführt werden, verbrämt dies die grundsätzliche Interessenlage mit vorgeschobener Besorgnis. "Wir wünschen uns eine nach Westen orientierte Ukraine, die mit uns die europäischen Werte teilt", so Westerwelle. Daß man gedenkt, sich die Werte der Ukraine unter den Nagel zu reißen und Rußland strategisch noch enger auf den Pelz zu rücken, erwähnte der Außenminister natürlich nicht. Schließlich sollen den Menschen die Augen erst dann aufgehen, wenn ihre Herren gewechselt haben und die Lebensverhältnisse noch bedrückender geworden sind.

Zweifellos gibt es auch Gewinner eines prowestlichen Kurses. Julia Timoschenko hätte es um ein Haar erfolgreich vorgemacht, wie man als Oligarchin Millionen abschöpft, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Aus Armut generierter Reichtum ist für ihre Freunde im Westen kein Problem, sondern vielmehr das für alternativlos erklärte Geschäftsmodell und Herrschaftssystem. Nationale Eliten bis hinunter in Teile der Mittelschichten könnten von einer definitiven Westanbindung profitieren, wobei jedoch außer Frage steht, zu wessen Lasten deren Wohlergehen erwirtschaftet würde.


Fußnoten:

[1] http://www.focus.de/politik/ausland/tid-27882/urnengang-in-der-ukraine-kaempferischer-klitschko-will-die-opposition-einen-tausende-beobachter-ueberpruefen-die-wahl_aid_848101.html

[2] http://diepresse.com/home/meinung/gastkommentar/1305946/Die-Westukraine-hat-Praesident-Janukowitsch-abgeschrieben

28. Oktober 2012