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MELDUNG/1516: Aufsteigender Stern am Himmel des Halbschwergewichts (SB)




Artur Beterbijew demontiert Exweltmeister Tavoris Cloud

Für Tavoris Cloud, ehemals Weltmeister der IBF im Halbschwergewicht, hat sich die Wahl des Gegners bei seiner Rückkehr in den Ring als verhängnisvoller Fehlgriff erwiesen. Der Kanadier war im März 2013 von Bernard Hopkins als Champion entthront worden und hatte im September gegen WBC-Weltmeister Adonis Stevenson eine zweite bittere Niederlage bezogen. Um sich von diesen beiden Rückschlägen zu erholen, legte er eine ausgiebige Pause ein. Fast auf den Tag genau nach einem Jahr trat der 32jährige nun im Bell Center in Montreal gegen Artur Beterbijew an.

Der 29 Jahre alte Russe war ein erfolgreicher Amateurboxer, der zweimal an Olympischen Spielen teilgenommen sowie eine Silbermedaille bei den Weltmeisterschaften 2007 und Gold im Jahr 2009 gewonnen hatte. Er wechselte im Juni 2013 ins Profilager und hatte sich seither in fünf Kämpfen durchgesetzt. Wenngleich ihm der Ruf eines aggressiven Boxers vorauseilte, der über eine beträchtliche Schlagwirkung verfügt, galt er doch als Außenseiter im Kampf mit Tavoris Cloud, der mit 24 Siegen und zwei Niederlagen weitaus mehr Erfahrung mitbrachte. Zudem kursierte das Gerücht, der Russe wolle als Profi nur etwas Geld verdienen und dann wieder ins Amateurlager wechseln, um an den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro teilzunehmen.

Tavoris Cloud schien noch nicht ganz im Ring angekommen zu sein, als sich der Russe auch schon auf ihn stürzte, um ihn in die Defensive zu treiben. Beterbijew stellte den Gegner an den Seilen und versetzte ihm sechs linke Uppercuts, denen er zwei rechte folgen ließ. Der Kanadier ging zu Boden und kam nur mühsam wieder auf die Beine, worauf ihn der Russe sofort mit einem Hagel weiterer Treffer ein zweites Mal auf die Bretter schickte. Cloud überstand auch diese mißliche Lage, sah sich jedoch kurz vor der Pause weiterer heftiger Angriffe ausgesetzt, die zum dritten Niederschlag in der ersten Runde führten. Da ihn der Gong nicht retten konnte, raffte sich der Kanadier nach dessen Ertönen mit letzten Kräften auf, um nicht ausgezählt zu werden.

Tavoris Cloud, das sah man zu Beginn der zweiten Runde, war immer noch schwer angeschlagen und würde den Durchgang kaum überstehen. Beterbijew ging auf ihn los, drängte ihn in die Ecke und versetzte ihm weitere Schläge, bis ein rechter Uppercut den Kanadier zum vierten Mal in diesem kurzen Kampf auf den Boden schickte. Daraufhin schritt Ringrichter Michael Griffin ein und entschied nach nur 38 Sekunden der zweiten Runde auf Abbruch. [1]

Wenngleich man natürlich einwenden kann, daß Tavoris Cloud nach seiner langen Pause noch nicht ganz auf der Höhe war und von Artur Beterbijew überrascht wurde, bevor er in den Kampf gefunden hatte, mutete der furiose Auftritt des Russen doch überraschend an. Er hielt sich nicht mit einem vorsichtigen Abtasten auf und ging ohne jeden Respekt auf den früheren Weltmeister los, als habe er es lediglich mit einem weiteren Aufbaugegner zu tun, den man ihm als lästige Pflichtübung in den Weg gestellt hatte. Und sollte diese Vorgehensweise der Annahme geschuldet gewesen sein, man müsse Cloud schnell erledigen, da er in späteren Runden ein immer größeres Problem darstellen würde, so hat der Russe diese Taktik jedenfalls perfekt umgesetzt.

Angesichts dieser verheerenden Demontage eines früheren Weltmeisters sieht man die Meldung in einem anderen Licht, Artur Beterbijew habe den aktuellen WBO-Champion Sergej Kowaljow zu Amateurzeiten zweimal besiegt. Für gewöhnlich haben derartige Altlasten wenig Bedeutung, wenn beide Boxer später eine Profilaufbahn einschlagen und einander irgendwann erneut gegenüberstehen. Den Auftritt seines Landsmanns in Montreal vor Augen, wird sich Kowaljow jedoch mit Unbehagen daran erinnern, daß sich ihre Wege in der Vergangenheit gekreuzt haben.

In dieser Verfassung wirkt Beterbijew bereits nach sechs Profikämpfen wie ein Kandidat, der selbst den aktuellen Weltmeistern gehörige Probleme bereiten könnte. Der 49 Jahre alte Bernard Hopkins wird ihm wohl nicht mehr begegnen, da der WBA/IBF-Champion zunächst die Begegnung mit Sergej Kowaljow (WBO) am 8. November überstehen muß und seine Karriere ohnehin ausklingen lassen will. Anders sieht es für Kowaljow und Adonis Stevenson (WBC) oder dessen kanadischen Landsmann Jean Pascal aus, die allesamt um die Vorherrschaft im Halbschwergewicht streiten.

Artur Beterbijew hat auch im Profilager Blut geleckt und dürfte es sich zweimal überlegen, ob er tatsächlich für Olympia zu den Amateuren zurückkehren möchte. Sollte sich dieses Gerücht als zutreffend erweisen und den Russen in absehbarer Zeit auf ein anderes Gleis führen, wird die professionelle Konkurrenz heimlich aufatmen. Setzt Beterbijew jedoch seine glänzend begonnene Profikarriere fort, sitzt den führenden Akteuren der Szene ein Rivale im Nacken, der ihnen noch Albträume bescheren dürfte.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2014/09/artur-beterbiev-destroys-tavoris-cloud-in-2nd-round-ko/#more-182405

29. September 2014