Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


MELDUNG/1636: Die Not ist keine Tugend (SB)



James DeGale muß sich von Andre Dirrell vermöbeln lassen

James DeGale wird am 25. April Geschichte schreiben, wenn er den Amerikaner Andre Dirrell im Kampf um den vakanten IBF-Titel im Supermittelgewicht besiegt und damit als erster britischer Olympiasieger auch Profiweltmeister wird. Das kündigt zumindest sein Promoter Eddie Hearn an, dem insofern zuzustimmen ist, als die erfolgreichsten boxenden Olympioniken von der Insel in der Tat bislang daran gescheitert sind, es auch unter professionellen Bedingungen bis ganz die Spitze zu schaffen. Audley Harrison, der im Jahr 2000 in Sydney Gold gewann, mußte später im Schwergewicht katastrophale Rückschläge hinnehmen. Anthony Joshua, Sieger bei den Spielen 2012 in London, ist erst noch dabei, in die höheren Ränge der Königsklasse aufzusteigen.

Was jedoch den ersten und entscheidenden Teil der kühnen Prognose Hearns betrifft, wäre DeGale mit einer Reihe von Alternativen besser bedient als mit dem Versuch, ausgerechnet Andre Dirrell das Fürchten zu lehren. Im Supermittelgewicht gibt es derzeit vier Weltmeister sowie Andre Ward als Superchampion der WBA, wozu sich noch der eine oder andere Interimstitel gesellt, dessen Träger man bei viel gutem Willen ebenfalls als Champion bezeichnen könnte.

Als Promoter nimmt Eddie Hearn die Aufgabe wahr, seinem Boxer jede erdenkliche Aufmunterung zukommen zu lassen, wovon James DeGale jedes Quentchen gebrauchen kann. Dirrell ist erfahrener, stärker und schneller als der Brite, so daß außer Kampfgeist und einem nie auszuschließenden Glückstreffer kaum etwas übrigbleibt, was zugunsten des Außenseiters ins Feld zu führen wäre. Allerdings genießt er Heimvorteil gegen Andre Dirrell, der seinerzeit im Super-Six-Turnier eine umstrittene Punktniederlage gegen den Lokalmatador Carl Froch in Nottingham hinnehmen mußte. Diese unliebsame Erfahrung bewog den US-Amerikaner lange, einen erneuten Auftritt in England auszuschließen. Da nun aber der Titel winkt und die Kasse stimmt, riskiert Dirrell einen zweiten Kampf auf der Insel. [1]

Dabei spielt sicher auch die Einschätzung eine Rolle, daß ihm DeGale nicht allzu gefährlich werden kann. Dieser hat sich vor allem im nationalen Umfeld gut behauptet und 2011 nur knapp gegen George Groves verloren. Wie sich dabei jedoch abzeichnete, kommt DeGale mit beweglichen und schnell schlagenden Kontrahenten schlecht zurecht. Er boxt so statisch, daß er ein leicht zu treffenden Ziel abgibt, sofern ihm sein Gegner an technischen Fertigkeiten und variabler Kampfesweise überlegen ist.

Seit der Niederlage durch Groves hat James DeGale gegen Marco Antonio Periban, Dyah Davis, Brandon Gonzalez, Gevorg Chatschikian, Sebastian Demers, Stjepan Bozic und einige weitere Akteure die Oberhand behalten, die allesamt nicht der Weltspitze angehören. Dank dieser Erfolge stieg der Brite in der IBF-Rangliste bis zum Pflichtherausforderer des Weltmeisters auf. Carl Froch wollte jedoch nicht gegen ihn antreten, da er das für einen Rückschritt in seiner Karriere hielt, und legte den Titel nieder.

DeGales britische Fangemeinde hofft natürlich, daß sich ihr Favorit auch gegen Andre Dirrell durchsetzen kann, und wird ihn lautstark anfeuern. Der US-Amerikaner konfrontiert ihn jedoch mit boxerischen Qualitäten, die er in dieser Ausprägung noch nicht kennengelernt hat. Deshalb hätte es Eddie Hearn auch vorgezogen, einen Kampf zwischen George Groves und James DeGale auf die Beine zu stellen. Der Plan sah offenbar vor, Dirrell mit einer hohen Summe für einen vorläufigen Verzicht auf sein Vorrecht zu entschädigen und ihm zudem einen Auftritt im Vorprogramm anzubieten.

Da die IBF jedoch angeordnet hat, die Gesamtbörse im Verhältnis 50:50 aufzuteilen, hätte der US-Amerikaner trotz der Zusage, gegen den Sieger antreten zu dürfen, vermutlich ein schlechtes Geschäft gemacht. Der neue Weltmeister hätte wie üblich einen Anteil von 75 Prozent oder mehr gefordert, so daß Dirrell der Löwenanteil entgangen wäre. Ob Hearn ihm zur Kompensation einen derart hohen Betrag angeboten hätte, daß selbst ein solcher Ausfall wettgemacht würde, darf bezweifelt werden.

Das Vorhaben scheiterte indessen schon daran, daß George Groves mit der vorgesehenen Teilung der Börse nicht einverstanden war und für sich dem Vernehmen nach 65 Prozent verlangte, was Hearn nicht hinnehmen konnte. Groves ist Pflichtherausforderer beim Verband WBC und hofft dort auf einen Titelkampf gegen den jüngeren Bruder Anthony Dirrell, der allerdings nicht minder gefährlich als Andre Dirrell ist. So konnte Eddie Hearn den naheliegenden Plan nicht in die Tat umsetzen, einen innerbritischen Kampf zwischen Groves und DeGale vor großer Kulisse über die Bühne zu bringen, in dem beide Boxer eine Siegeschance gehabt und auf jeden Fall ordentlich verdient hätten. [2]

James DeGale, für den 20 Siege und eine Niederlage zu Buche stehen, wird gegen Andre Dirrell untergehen, der mit einer Bilanz von 24 gewonnenen Auftritten und einem verlorenen Kampf antritt. George Groves wird weiter darauf warten, irgendwann später im Jahr mit Anthony Dirrell in den Ring zu steigen und dabei vorzeitig auf den Brettern zu landen. In seiner jüngsten Stellungnahme räumt Eddie Hearn realistischerweise ein, daß Andre Dirrell in diesem Duell auf höchstem Niveau vermutlich favorisiert sei. Der Ausgang des Kampfs lasse sich jedoch nicht vorhersagen, da beide Akteure außergewöhnlich talentiert seien und James DeGale brenne, wie nie zuvor in seiner Karriere, so Hearn, dem unter den gegebenen Umständen nichts anderes übrigbleibt, als aus der Not eine Tugend zu machen.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/02/james-degale-will-make-history-on-april-25th-against-andre-dirrell-says-hearn/#more-188218

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/02/hearn-andre-dirrell-is-probably-the-favorite-over-degale/#more-188256

15. Februar 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang