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MELDUNG/1834: Zwei Streithähne wetzen das Messer (SB)



Anthony Joshua und Dillian Whyte gleichermaßen siegesgewiß

Wenn die ambitionierten britischen Schwergewichtler Anthony Joshua und Dillian Whyte am 12. Dezember in der Londoner O2 Arena zusammen in den Ring steigen, steht weit mehr auf dem Spiel als der vakante Titel des Landesmeisters. Der 26jährige Joshua und sein ein Jahr älterer Erzrivale sind beide ungeschlagen und träumen von einer glanzvollen Karriere, wovon bis auf weiteres nur noch für einen von ihnen die Rede sein wird, sobald sich ihre Wege gekreuzt haben.

Als die beiden noch zu Amateurzeiten im Jahr 2009 erstmals aufeinandertrafen, schickte Whyte den Kontrahenten zweimal auf die Bretter und behielt am Ende klar die Oberhand. Er hatte damals freie Hand, da ihm Joshuas Schläge nichts anhaben konnten. Danach trennten sich ihre Wege, da Anthony Joshua zum gefeierten Olympiasieger 2012 in London aufstieg und seither auch im Profilager mit Vorschußlorbeeren überhäuft wird. Hingegen war Whyte wegen Dopings zwei Jahre außer Gefecht und mußte sich danach mit Auftritten in kleinen Boxklubs mühsam wieder hocharbeiten.

Auf ihrer gemeinsamen Pressekonferenz zeigte sich der in vierzehn Auftritten siegreiche Joshua zuversichtlich und gab fast schon hochnäsig die Prognose ab, Whyte werde ihn wohl etwas länger als drei Runden beschäftigen. Wie man dazu wissen muß, hat der Olympiasieger gegen ausgesucht schwache oder alternde Gegner durchweg frühzeitig gewonnen und dafür nie länger als drei Durchgänge gebraucht. Auf diese Weise baute ihn sein Promoter Eddie Hearn zum künftigen Champion auf, dessen Schlägen niemand standhalten könne.

Dieses fabrizierte Image scheint Joshua zu Kopf gestiegen zu sein, da er Whyte jegliche Qualitäten abspricht, die über jene seiner bisherigen Gegner hinausreichen. Er gehe an diesen Kampf mit derselben Haltung wie an alle vorangegangenen in seiner Profikarriere heran. Der einzig nennenswerte Unterschied sei die enorme Aufmerksamkeit, die ihr Duell auf sich ziehe, weshalb es seinetwegen gern in eine Schlacht über zwölf Runden ausarten könne. Sobald er fertig mit Whyte sei, werde er sich anhören, was der nächste Gegner zu sagen habe, ohne daß dies auch nur das mindeste an seiner Einstellung und seinen Ambitionen ändere. [1]

Dillian Whyte hat 16 Kontrahenten bezwungen und mußte dabei nur dreimal über die volle Distanz gehen. Er ist zwar kleiner als Joshua, schätzt die eigene Schlagwirkung aber als mindestens ebenbürtig ein. Früher oder später werde er einen Volltreffer landen und den Kampf zu seinen Gunsten entscheiden, so der gebürtige Jamaikaner. Er habe Joshua schon einmal besiegt und ihm damit einen Schlag versetzt, der bis heute Wirkung in der Gemütsverfassung seines kommenden Gegners zeitige. Wenngleich sich Joshua seither verbesserte habe, gelte das nicht minder für ihn selbst. [2]

Wenngleich Anthony Joshua derzeit der populärere Boxer ist, wirkt er doch angesichts seiner aufgehäuften Muskelmasse noch langsamer und statischer als 2009. Dillian Whyte hat daher gute Aussichten, auch die späte Revanche für sich zu entscheiden. Seit seiner Rückkehr im November 2014 arbeitet er mit Johnathon Banks zusammen, der auch Wladimir Klitschkos trainiert. Diese Konstellation führte ihn als Sparringspartner mit dem Weltmeister zusammen, wodurch er eigenen Angaben zufolge eine Menge dazugelernt hat. Zwar bevorzuge der Champion einen anderen Stil, doch sei dessen außerordentlich professionelle Einstellung beispielhaft und der Umgang mit ihm eine Erfahrung, die ihm nicht nur ihm Kampf gegen Joshua von großem Nutzen sein werde.

Um die Argumente seines Gegenspielers aus dem Felde zu schlagen, bringt Anthony Joshua einen Ratschlag ins Gespräch, den ihm der ehemalige Schwergewichtsweltmeister Lennox Lewis einmal gegeben habe: Er solle die alten Geschichten aus dem Amateurlager vergessen, da er ein Profi sei. Wenn ihm das ein legendärer Champion wie Lewis empfehle, sehe er keinen Grund, sich mit der Vergangenheit aufzuhalten, in der Dillian Whyte augenscheinlich schwelge. Im übrigen glaube er nicht, daß Jonathon Banks genug Zeit gehabt habe, die Schwächen Whytes zu beheben und aus einem rohen Draufgänger einen Boxer zu machen. [3]

Mit dieser Einschätzung liegt Joshua insofern nicht ganz falsch, als Whyte eher auf Volltreffer setzt, als mit technischen Feinheiten zu glänzen. Darin unterscheiden sich die Kontrahenten jedoch nicht so sehr, wie der Publikumsliebling Glauben machen möchte. Daher steht ein turbulentes Kräftemessen zu erwarten, in dem beide Boxer mit der Brechstange zu Werke gehen.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/11/joshua-whyte-might-take-me-past-3-rounds/#more-201376

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/11/whyte-i-will-beat-joshua-again/#more-201372

[3] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/14049395/dillian-whyte-says-wladimir-klitschko-partnership-gives-edge-anthony-joshua

6. November 2015


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