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MELDUNG/1867: Beklemmende Begleiterscheinung aktueller Umwälzungen (SB)



Wjatscheslaw Hlaskow und Charles Martin kämpfen um den IBF-Titel

Am 16. Januar verteidigt Deontay Wilder den Titel des Verbands WBC im Schwergewicht im Barclays Center in Brooklyn gegen den polnischen Herausforderer Artur Szpilka. Im Vorprogramm der Veranstaltung in New York, die im Rahmen des Formats "Showtime Championship Boxing" übertragen wird, kommt es zu einem weiteren hochkarätigen Duell des Schwergewichts. Die Nummer eins der IBF-Rangliste, Wjatscheslaw Hlaskow, trifft dabei im Kampf um den vakanten Titel der IBF auf den an vierter Stelle plazierten Charles Martin. Während der 31jährige Ukrainer 21 Auftritte gewonnen und einen unentschieden beendet hat, kann sein zwei Jahre jüngerer und ebenfalls ungeschlagener US-amerikanischer Gegner mit 22 Siegen sowie einem Unentschieden aufwarten.

Verspricht schon der Hauptkampf des Abends eine weitere attraktive Darbietung Wilders, die nicht über die volle Distanz gehen wird, so komplettiert das zweite anspruchsvolle Aufeinandertreffen im Schwergewicht ein sehenswertes Programm. Dies gilt um so mehr, als die Karten in der Königsklasse derzeit neu gemischt werden und ambitionierte Kandidaten danach drängen, sich an der Spitze zu plazieren. Selbst wenn der Titelkampf zwischen Hlaskow und Martin wenig dazu geeignet sein dürfte, Euphorie aufkommen zu lassen, steht doch nicht zu erwarten, daß er die Stimmung der Zuschauer vor Ort und beim Sender Showtime, die vor allem auf Deontay Wilder gespannt sind, trüben könnte.

Das Team des Ukrainers stand ursprünglich in Verhandlungen über einen Kampf gegen Wilder am 16. Januar. Als dann jedoch Tyson Fury für eine faustdicke Überraschung sorgte und Wladimir Klitschko in Düsseldorf vom Thron stieß, eröffnete sich Hlaskow eine günstigere Perspektive. Die IBF forderte den Briten postwendend auf, in Gespräche mit dem Ukrainer zu treten, der Pflichtherausforderer bei diesem Verband ist. Das lehnte Fury jedoch rundweg mit der Begründung ab, Hlaskow sei völlig uninteressant für ihn, und vorschreiben lasse er sich schon gar nichts. Daraufhin erkannte ihm die IBF den Titel ab, der nun unter Beteiligung des Ukrainers neu vergeben wird. Damit zeichnet sich für Hlaskow ein erheblich leichterer Weg ab, Weltmeister zu werden, da seine Aussichten verschwindend gering gewesen wären, mit Wilder fertigzuwerden.

Wjatscheslaw Hlaskow und sein Promoter Main Events wählen den Weg des geringsten Widerstands, was man ihnen nicht verdenken kann. Sollte es dem Ukrainer tatsächlich gelingen, IBF-Weltmeister zu werden, stünden ihm höchst lukrative Möglichkeiten wie ein Duell mit einem anderen Champion in Aussicht. Wie immer die Revanche zwischen Tyson Fury und Wladimir Klitschko auch ausgehen wird, die sich der Ukrainer als Option vertraglich gesichert hatte, ist der Sieger doch kein unbezwingbarer Fels in der Brandung.

Wie Hlaskow erklärte, freue er sich auf seine Rückkehr in den Ring und über die Aussicht, um den Titel zu kämpfen. Er danke allen, die dazu beigetragen haben, diese aussichtsreiche Position in seiner Karriere zu erreichen. Weltmeister werden will natürlich auch Charles Martin, der seinerseits Geschichte zu schreiben hofft. Er würdigte seinen ukrainischen Widersacher als großartigen Boxer, der ungeschlagen sei und ihm einen überaus harten Kampf liefern werde. Deswegen trainiere er unermüdlich und bringe sich in Bestform, um am Ende den Sieg davonzutragen.

Wenngleich der 1,90 m große Ukrainer, der in Fort Lauderdale, Florida, lebt, als Favorit gilt, tritt sein 1,96 m messender Gegner aus Carson in Kalifornien nicht ohne Chancen an, sich den Gürtel zu sichern. Kritiker Hlaskows erinnern daran, daß man bei etlichen Entscheidungen zugunsten des Ukrainers durchaus geteilter Meinung sein konnte. So waren beim umstrittenen Unentschieden gegen Malik Scott vor zwei Jahren nicht nur die eingefleischten Anhänger des US-Amerikaners der Auffassung, daß dieser mit einem Sieg nicht überbewertet worden wäre. Auch der Aufbaugegner Derric Rossy und der Cruisergewichtler Steve Cunningham machten gegen Hlaskow eine so gute Figur, daß dieser von Glück und der Gunst der Punktrichter reden konnte, die Oberhand behalten zu haben.

Selbst wenn man der Ansicht sein sollte, daß die drei genannten Ergebnisse durchaus vertretbar gewesen seien, fällt es doch schwer, in Wjatscheslaw Hlaskow jenen erstklassigen Boxer zu sehen, als den ihn sein kommender Gegner bezeichnet. Offenbar läßt der Ukrainer die nötige Schnelligkeit und Schlagwirkung vermissen, die erforderlich wäre, um gute, aber keineswegs überragende Kontrahenten klar in die Schranken zu weisen. Was ihn allerdings auszeichnet, sind solide Nehmerqualitäten, da er selbst wuchtige Schläge wegstecken und unbeirrt vorwärts marschieren kann. [1]

Man kann Wjatscheslaw Hlaskow daher als guten, aber keineswegs außergewöhnlichen Schwergewichtler charakterisieren, der nicht wesentlich über dem Niveau eines Malik Scott, Derric Rossy oder Steve Cunningham einzustufen ist. Daß er die IBF-Rangliste anführt und beim Verband WBC an Nummer drei auftaucht, muß man wohl als das wie so oft kaum nachvollziehbare Resultat einer eigenwilligen Verbandspolitik bezeichnen. Wenn er nun gute Aussichten hat, neuer IBF-Weltmeister zu werden und damit Wladimir Klitschko in dieser Hinsicht zu beerben, fällt das unter die Rubrik der eher beklemmenden Begleiterscheinungen aktueller Umwälzungen in der Königsklasse.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/12/glazkov-vs-martin-added-wilder-szpilka-fight-card-116/#more-203569

23. Dezember 2015


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