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MELDUNG/1965: Die zweite Wahl fällt mager aus (SB)



Deontay Wilder darf den WBC-Titel freiwillig verteidigen

Deontay Wilder darf den WBC-Titel im Schwergewicht freiwillig verteidigen, nachdem mit Alexander Powetkin der ursprünglich vorgesehene Pflichtherausforderer wegen eines positiven Dopingtests ausgefallen ist. Der Weltmeister sollte am 21. Mai in Moskau in einem der anspruchsvollsten Kämpfe, die gegenwärtig möglich sind, gegen den stark eingeschätzten Russen antreten. Eine Woche vor der Veranstaltung wurde jedoch bekannt, daß die Voluntary Anti-Doping Association (VADA) bei einem stichprobenartigen Test Powetkins Spuren der seit Anfang des Jahres verbotenen Substanz Meldonium nachgewiesen hatte.

Wie es in einer Stellungnahme des WBC-Präsidenten Mauricio Sulaiman heißt, habe der Verband angesichts des positiven Testergebnisses Powetkins eine umfassende Untersuchung eingeleitet, deren Ergebnisse kommuniziert würden, sobald sie vorlägen. In der Zwischenzeit räume man Deontay Wilder die Möglichkeit ein, seinen Titel zeitnah gegen einen Herausforderer seiner Wahl zu verteidigen.

Diese Entscheidung des Verbands ist insofern eine gute Nachricht für den 30jährigen Champion aus Tuscaloosa in Alabama, als er ein volles Trainingslager absolviert hatte und bereit für den Kampf gegen Powetkin war. Diese monatelange Vorbereitung wäre umsonst gewesen, hätte sich das WBC nicht zu einer zügigen Zwischenlösung bereitgefunden. Wilders Promoter Lou DiBella und der Berater Al Haymon wollen sofort darangehen, einen geeigneten Herausforderer zu verpflichten. DiBella rechnet eigenen Angaben zufolge damit, daß der Kampf im Sommer über die Bühne gehen wird, da man zunächst einen Fernsehsender ausfindig machen müsse, der relativ kurzfristig einspringen kann. [1]

Wilder hatte sich mit seinem Team in Sheffield aufgehalten, um sich an die Zeitumstellung zu gewöhnen, als die Hiobsbotschaft der VADA eintraf. Statt wie geplant in die russische Hauptstadt weiterzureisen, mußte die Entourage des WBC-Champions unverrichteter Dinge in die USA zurückkehren. Wie der Weltmeister berichtet, hätte seine Enttäuschung nicht größer sein können. Er habe sich intensiver denn je für diesen Auftritt gequält und plötzlich mit leeren Händen dagestanden. Auch in finanzieller Hinsicht war der Ausfall des Titelkampfs ein Tiefschlag, da Wilder nicht nur die Unkosten der aufwendigen Vorbereitung tragen muß, sondern die hohe Börse von mindestens 4.504.500 Dollar verliert. Man kann davon ausgehen, daß eine Klage gegen Powetkins Promoter eingereicht wird, in der die entgangene Gage des Champions eingefordert wird.

Wenn er in Kürze gegen einen anderen Herausforderer antrete, bedeute das nicht, daß man die Situation unter den Teppich kehren wolle, so Wilder. Er werde die weiteren Schritte des Verbands höchst aufmerksam verfolgen, doch zugleich als Weltmeister aktiv bleiben, um seinen Anspruch auf Vorherrschaft im Schwergewicht zu untermauern. Wäre Powetkin lediglich aufgrund einer Verletzung ausgefallen, wie sie im Zuge einer intensiven Vorbereitung jederzeit die Pläne durchkreuzen kann, wäre das sehr bedauerlich, aber nicht katastrophal gewesen. Dann hätte man gehofft, daß sich der Russe möglichst bald auskuriert, und über einen neuen Termin nachgedacht. Das positive Testergebnis auch in der B-Probe läßt jedoch befürchten, daß Powetkin gesperrt wird und als Herausforderer endgültig ausfällt. [2]

Jüngsten Meldungen zufolge bahnt sich angeblich eine freiwillige Titelverteidigung Deontay Wilders gegen Chris Arreola im Juli an. Sollte sich diese Wahl bestätigen, wäre das eine Wendung der Dinge, die keine Begeisterung auslösen kann. Arreola galt trotz seiner klaren Niederlage gegen Vitali Klitschko zwischen 2009 und 2012 als anspruchsvoller Schwergewichtler, der an der Spitze mitboxen konnte. Als er jedoch gegen Tomasz Adamek verlor, rief dies Zweifel an seinen Qualitäten auf den Plan, da der Pole zwar ein Cruisergewichtler von Weltklasse gewesen, aber für die Königsklasse im Grunde zu leicht war. In der Folge gaben sporadische Siege wie jener über Seth Mitchell der dümpelnden Karriere Arreolas neuen Schub, doch zeugten schließlich die beiden Niederlagen gegen Bermane Stiverne von den Grenzen seiner Möglichkeiten.

Würde Chris Arreola als nächster Gegner des WBC-Weltmeisters verpflichtet, müßte sich Wilder den Vorwurf gefallen lassen, seine vierte Titelverteidigung in Folge gegen relativ schwache Kontrahenten zu bestreiten. Eric Molina bereitete ihm anfangs unverhoffte Probleme, was angesichts des ersten Auftritts als neuer Champion aber verzeihlich war. Der Franzose Johann Duhaupas erwies sich wie erwartet als robust, mußte sich aber schließlich doch geschlagen geben. Der Pole Artur Szpilka überstand als Rechtsausleger einige Runden, bis sich Wilder darauf eingestellt hatte und auch ihn vorzeitig besiegte. Alle drei Herausforderer gehörten nicht der höchsten Kategorie an, doch kann man dem ungeschlagenen Weltmeister zugute halten, wesentlich attraktiver als Tyson Fury, Wladimir Klitschko und wohl auch Anthony Joshua zu kämpfen.

Nachdem Alexander Powetkin als bislang härtester Prüfstein des WBC-Champions eingeschätzt worden war, stäche eine Qualitätsminderung in Bezug auf den kommenden Gegner natürlich um so krasser ins Auge. Das gilt im übrigen auch für Anthony Joshua, der sämtliche Gegner vorzeitig besiegt hat und schneller als erwartet IBF-Weltmeister geworden ist. Der Brite trifft bei seiner ersten Titelverteidigung auf Dominic Breazeale, der zwar Olympiateilnehmer war und ungeschlagen ist, ansonsten aber als vergleichsweise leichte Aufgabe gilt. [3]

Wie man einräumen muß, ist die Schwergewichtsszene nach jahrelanger Stagnation zwar in Bewegung geraten, dadurch jedoch nicht zwangsläufig besser geworden. Wünscht man sich einen anspruchsvolleren Gegner als Chris Arreola für Deontay Wilders freiwillige Titelverteidigung im Sommer, drängen sich nur sehr wenige Namen auf. Attraktiv wäre David Haye, doch braucht der Brite nach seiner dreijährigen Pause noch einige Zeit, um sich mit Kämpfen gegen relativ schwache Kontrahenten wieder in Schuß und ins Gespräch zu bringen. Gewinnt er im September auch gegen Shannon Briggs, böte sich ein Titelkampf gegen seinen Landsmann Anthony Joshua im nächsten Jahr an. Genaugenommen gibt es derzeit nur einen wirklich gefährlichen Schwergewichtler neben Deontay Wilder und der heißt Luis Ortiz. Dem Kubaner wird der Weltmeister noch eine Weile aus dem Weg gehen, was man ihm nicht verdenken kann.


Fußnoten:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/15725431/deontay-wilder-get-optional-title-defense-alexander-povetkin-bout-called-off

[2] http://espn.go.com/blog/dan-rafael/post/_/id/16072/wilder-povetkin-should-be-suspended

[3] http://www.boxingnews24.com/2016/05/wilder-vs-arreola-make-proper-fights-please/#more-210884

28. Mai 2016


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