Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


MELDUNG/2023: Die Chance kommt zehn Jahre zu spät (SB)



Tony Bellew verteidigt seinen Titel gegen B.J. Flores

Tony Bellew verteidigt den WBC-Titel im Cruisergewicht am 15. Oktober in der Liverpooler Echo Arena gegen B.J. Flores. Die Entscheidung des World Boxing Council, dem Weltmeister eine erste freiwillige Titelverteidigung zu erlauben, statt ihm sofort einen Kampf gegen den Ranglistenersten Mairis Briedis abzuverlangen, kommt dem Briten natürlich sehr entgegen. Bekäme der Pflichtherausforderer den 33 Jahre alten Champion vor die Fäuste, würde dessen Regentschaft vermutlich enden, kaum daß sie so recht begonnen hat. Demgegenüber sollte der 37jährige Flores, der gegenwärtig erst an Nummer 26 der WBC-Rangliste auftaucht, eine relativ leicht lösbare Aufgabe sein. Während der Weltmeister 27 Auftritte gewonnen, zwei verloren und einmal unentschieden gekämpft hat, weist die Bilanz des Kaliforniers 32 Siege, zwei Niederlagen sowie ein Unentschieden auf.

Vielleicht wird der Herausforderer ja noch kurzerhand unter die Top 15 vorgeschoben, da dies eigentlich den Kandidatenkreis begrenzt, unter denen ein amtierender Weltmeister seinen Gegner aussuchen kann. Allzu ernst wird diese Vorgabe jedoch in jüngerer Zeit wohl von keinem der vier maßgeblichen Verbände mehr genommen. In jedem Fall mutet die Wahl Bellews wie ein Armutszeugnis an, zumal Flores bei der Niederlage gegen Beibut Schumenow in seinem vorletzten Kampf eine denkbar schlechte Figur machte. Im Juli 2015 setzte sich der Kasache einstimmig nach Punkten durch, worauf Flores im Mai 2016 gegen Roberto Santos gewann.

Beibut Schumenow hatte insofern leichtes Spiel, als er in einem schnellen Wechsel aus Vorstoß und Rückzug seinen Vorsprung auf den Zetteln der Punktrichter relativ unangefochten ausbauen konnte. Flores gelang es nicht, ihm den Weg abzuschneiden und den Schlagabtausch aufzuzwingen. Vermutlich wäre es ihm ohnehin schlecht bekommen, sich dabei schweren Treffern auszusetzen, zumal das nie seine bevorzugte Kampfesweise gewesen ist. Normalerweise boxt er genauso wie Schumenow an diesem Abend, der ihm darin jedoch in allen Belangen überlegen war.

Dennoch behauptet Flores heute, er hätte bereits im Kampf gegen Schumenow, bei dem der Titel des Interimsweltmeisters zur Disposition stand, den Ring als Champion verlassen müssen. Solche Rückschläge hätten ihn jedoch nur noch stärker gemacht und in ein gehärtetes Stück Eisen verwandelt. Nichts, was Tony Bellew zu bieten habe, könne ihn überraschen oder in die Knie zwingen. Der Brite unterschätze ihn maßlos und werde bereits in der ersten Runde sein blaues Wunder erleben. Er wolle ihm zuerst eine Lektion erteilen und ihn dann sauber auf die Bretter schicken, so der Herausforderer im Versuch, sich bestmöglich als gefährlichen Gegner anzupreisen.

Der Liverpooler hatte den vakanten WBC-Titel im Mai vor heimischem Publikum durch einen Sieg in der dritten Runde gegen Illunga Makabu gewonnen. Im Hochgefühl dieses Erfolgs ließ sich Bellew von seinen Fans ausgelassen feiern und verkündete, daß er nun der beste Cruisergewichtler der Welt sei. Wenngleich man ihm diese Worte insofern nachsehen kann, als sie im Überschwang des Triumphs geäußert wurden, legen sie doch gemessen an ihrem sachlichen Inhalt eine krasse Fehleinschätzung nahe. Um den Beweis anzutreten, daß ihm kein Rivale in seiner Gewichtsklasse das Wasser reiche kann, müßte sich der Brite zunächst gegen wesentlich gefährlichere Kandidaten als Makabu wie etwa Denis Lebedew, Krzystof Glowacki, Oleksandr Ussyk, Grigori Drodsd, Marco Huck, Murat Gassijew oder den bereits genannten Mairis Briedis durchsetzen.

Bellew hat bei seinem Titelgewinn keinesfalls den führenden Kontrahenten im stark besetzten Cruisergewicht in die Schranken gewiesen, als er Makabu das Nachsehen gab. Er hatte es dabei mit einem Gegner zu tun, der zwar eine beträchtliche Schlagwirkung ins Feld führen kann, davon abgesehen jedoch erhebliche Schwächen erkennen läßt. Wollte man dennoch annehmen, daß der Brite dank seines Erfolgs tatsächlich ganz hinauf auf den Gipfel gesprungen ist, würde es um so weniger Sinn machen, für die erste Titelverteidigung anstelle der talentierteren Konkurrenz einen Gegner wie Flores auszuwählen, der inzwischen derart weit ab vom Schuß ist.

Teil des Problems ist natürlich neben der Praxis des World Boxing Council auch die Strategie von Bellews Promoter Eddie Hearn, der dem Champion einen komfortablen Weg bahnt. Sollte der Weltmeister gegen Flores die Oberhand behalten, wovon man ausgehen kann, wird er möglicherweise einen Abstecher ins Schwergewicht machen und sich dort mit David Haye messen. Das dürfte sich vor britischem Publikum sicher bezahlt machen und würde für Bellew auch im Falle einer Niederlage seinen Status im Cruisergewicht nicht berühren, wo er weiterhin WBC-Weltmeister bliebe. Unterdessen müßte Briedis weiter auf seine Chance warten, um den Titel zu kämpfen.

Eine weitere harte Nuß, die Bellew schwerlich knacken könnte, wäre vermutlich Grigori Drodsd, den das WBC als Champion im Wartestand führt. Diese Position räumt ihm das Vorrecht ein, bei seiner Rückkehr in den Ring sofort um den Titel zu kämpfen, ohne sich zuvor auf welche Weise auch immer dafür qualifizieren zu müssen. Bei diesem für Außenstehende sicherlich unverständlich bis dubios anmutenden Modus handelt es sich letzten Endes um einen Winkelzug des Verbands, sich einen prominenten Boxer warmzuhalten, auch wenn dieser seinen Titel über längere Fristen nicht verteidigt. Ein aus hiesiger Sicht prominentes Beispiel war Vitali Klitschko, der seine Karriere beendet zu haben schien, doch nach mehrjähriger Abwesenheit beschloß, die Boxhandschuhe wieder anzuziehen. Daraufhin durfte er um den WBC-Titel im Schwergewicht kämpfen und holte ihn sich auf Anhieb zurück.

Bellew ist ein recht eindimensionaler Boxer, den B.J. Flores in jungen Jahren wahrscheinlich ausgeboxt und nach Punkten besiegt hätte. Im Alter von fast 40 Jahren und mit einer spärlichen Kampfpraxis in der jüngeren Vergangenheit ist der Herausforderer jedoch an einem toten Punkt seiner Karriere angelangt. Die Titelchance kommt für ihn zehn Jahre zu spät, da er sie heute kaum mehr nutzen kann. [1]


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/08/tony-bellew-vs-bj-flores-october-15/#more-214548

8. August 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang