Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


MELDUNG/2072: Ein Meister boulevardesker Fehden (SB)



David Haye provoziert Tony Bellew und Eddie Heran

Die beiden Briten David Haye und Tony Bellew haben wortreich ihren Kampf herbeigeredet, der am 4. März 2017 in der Londoner 02 Arena über die Bühne gehen soll. Haye ist ein alter Hase in diesem Geschäft, mittels einer inszenierten Fehde seinen nächsten Auftritt auf spektakuläre Weise zu bewerben, wie ihm das einst mit Wladimir Klitschko und Dereck Chisora gelungen ist. Bellew versucht es ihm gleichzutun, wirkt dabei aber eher wie ein peinlicher Laiendarsteller im Schatten eines mit allen Wassern gewaschenen Boulevardstars, der unverfroren die Emotionen des Publikums bedient.

David Haye, der im Schwergewicht antritt, hatte nach einer Operation an der Schulter seine Karriere so gut wie beendet. Dann kehrte er nach einer langen Pause von vier Jahren überraschend in den Ring zurück und besiegte zwei ausgesucht schwache Gegner. Dennoch erklärte er unentwegt, er wolle noch einmal Weltmeister werden und am liebsten seinem Landsmann Anthony Joshua den IBF-Titel abnehmen. Tony Bellew ist zwar WBC-Weltmeister im Cruisergewicht, doch ließ er sich von Haye in eine verbale Rivalität verwickeln, die bei ihrem von den britischen Fans vielbeachteten Duell handfest kulminieren soll.

Wenngleich dieser Kampf beiden Boxern beträchtliche Einkünfte bescheren dürfte, die sie anderweitig kaum bekommen würden, hat Haye doch die besseren Karten bei diesem Geschäft. Er kann sich spektakulär in Szene setzen, ohne dabei ein allzu großes Risiko einzugehen. Bellew, der erstmals im Schwergewicht antritt, ist ein Champion mit limitierten Fertigkeiten, der zur Selbstüberschätzung neigt. Er scheint alles für bare Münze zu nehmen, womit ihn sein Widersacher lockt und provoziert, während Haye nicht nur mit breiter Brust, sondern auch kühlem Kopf seine strategischen Pläne schmiedet.

Bellew wird voller Zuversicht in den Ring steigen, nachdem er zuletzt den überforderten BJ Flores viermal auf die Bretter geschickt hat. Obgleich er sich für seine freiwillige Titelverteidigung einen vergleichsweise harmlosen Gegner ausgesucht hatte, wiederholte er ein ums andere Mal sein Mantra, er sei der weltbeste Boxer im Cruisergewicht und werde auch mit Haye den Fußboden aufwischen. Das sehen die Buchmacher ganz anders, bei denen der Londoner vor heimischem Publikum als haushoher Favorit gehandelt wird. Wenngleich ungewiß ist, ob der "Hayemaker" noch einmal zu der Form vergangener Tage auflaufen kann, hat er sich doch in seiner Karriere mit diversen namhaften Kontrahenten gemessen, wovon sein Gegner aus Liverpool nur träumen kann. [1]

Auf einer turbulenten Pressekonferenz kam es zu einem kurzen Handgemenge zwischen den beiden Boxern, als Bellew sein Gegenüber wegschubste, worauf ihm Haye blitzschnell einen angedeuteten Haken mit der Linken versetzte. Er habe sich lediglich im Reflex verteidigt, erklärte der Londoner hinterher, während sich Tony Bellew empört beklagte. Auch in dieser offenbar improvisierten Sequenz deutete sich an, wer die Inszenierung ihrer angeblichen Erzfeindschaft souveräner gestaltet. Dann legte sich David Haye mit Bellews Promoter Eddie Hearn an, in dem er zu Recht einen geeigneteren Widerpart für ein veritables Wortgefecht ausmachte.

Wie Haye verkündete, sei Hearn derart von sich eingenommen, daß er sein Gesicht in jedes Foto stecke, das während eines Interviews mit seinen Boxern aufgenommen werde. Das gehe so weit, daß der Promoter sogar seinen Namen ganz oben auf dem Plakat mit der Ankündigung des Kampfs plazieren wollte. Hearn lasse nichts unversucht, seinen eigenen Leuten das Scheinwerferlicht wegzunehmen, um selber im Mittelpunkt zu stehen, so Haye. Deshalb werde er zuerst Tony Bellew vermöbeln, dann Hearns Aushängeschild Anthony Joshua entthronen und schließlich Matchroom Sport dichtmachen. Er wolle die "Eddie Hearn Show" beenden, dem Promoter das Maul stopfen und dessen Unternehmen zu Grabe tragen.

Haye weiß natürlich, daß er erstens Unsinn redet, der zweitens von den Medien heiß diskutiert wird. Er sorgt für Gesprächsstoff, der über die abgedroschenen Standardfloskeln hinausgeht, indem er eine leicht verständliche Provokation in die Welt setzt, die von der Berichterstattung aufgegriffen und für die Fans diskutiert werden kann. Wenngleich die Vorstellung absurd ist, Haye könne ein Traditionsunternehmen wie Matchroom Sport in die Knie zwingen, läßt sich nun herzhaft darüber debattieren, warum er dazu gar nicht in der Lage ist. Hearn spielt dabei sicher gerne mit, da bei dieser Gelegenheit einmal mehr aufgezählt wird, wie viele namhafte Boxer er unter Vertrag und welch lukrative Fernsehverträge er abgeschlossen hat. Hier spielen zwei Profis einander die Bälle zu, wobei es müßig ist zu spekulieren, was davon abgesprochen und was improvisiert ist.

Der führende britische Promoter schickt diverse Weltmeister in den Ring, hat das Gros der besten einheimischen Akteure sowie einige namhafte ausländische Boxer in seinen Reihen. Er ist dafür bekannt, seine Schützlinge vorsichtig aufzubauen und damit aller Kritik zum Trotz Karrieren zu schmieden, die man kaum für möglich gehalten hätte. Das beste Beispiel ist Tony Bellew, der nach einer verheerenden Niederlage im Halbschwergewicht gegen den Kanadier Adonis Stevenson vor drei Jahren in eine Sackgasse abgebogen zu sein schien. Der Liverpooler stieg ins Cruisergewicht auf, wurde von Hearn mit handverlesenen Gegnern versorgt und von den Kritikern zerrissen, bis er plötzlich Weltmeister war.

Weit davon entfernt, diese Gewichtsklasse anzuführen, sollte Bellew Rivalen wie Oleksandr Ussyk, Krzysztof Glowacki, Marco Huck, Mairis Briedis, Murat Gassijew, Denis Lebedew und Beibut Schumenow lieber aus dem Weg gehen. Dennoch fühlt sich der WBC-Champion wie ein Superstar und redet so penetrant von seiner goldenen Zukunft, daß seine Landsleute den Auftritten des Champions erwartungsvoll entgegensehen - die einen, weil sie an ihn glauben, die anderen, weil sie miterleben wollen, wie er endlich auf den Boden boxerischer Tatsachen heruntergeholt wird.

David Haye kommt Eddie Hearn und Tony Bellew sehr entgegen, da der WBC-Weltmeister seinen Titel andernfalls gegen den Pflichtherausforderer Mairis Briedis verteidigen müßte. Der Liverpooler würde dabei erheblich weniger verdienen und höchstwahrscheinlich auf den Brettern landen. Letzteres blüht ihm zwar auch, wenn er in einen der gewaltigen Schwinger des "Hayemakers" läuft, um dessen Kondition es jedoch so schlecht bestellt sein dürfte, daß sich Bellew zumindest gewisse Hoffnungen machen kann. Der Londoner Promoter würde jedenfalls keinen zweiten Schwergewichtler finden, der einen solchen Zirkus mit Bellew veranstalten kann. [2]


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/11/haye-bellew-step-far-bellew/#more-222252

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/11/haye-trashes-eddie-hearn-bellew-press-conference/#more-222242

1. Dezember 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang