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MELDUNG/2086: Ein alter Bekannter von ramponiertem Ruf (SB)



Tyron Zeuge verteidigt seinen Titel gegen Paul Smith

Wie unerforschlich die Wege der Boxverbände sein können, zeigt einmal mehr die für den 18. März angekündigte Titelverteidigung Tyron Zeuges gegen Paul Smith. Der 24jährige Berliner ist regulärer Weltmeister der World Boxing Association (WBA) im Supermittelgewicht, sein zehn Jahre älterer Herausforderer derzeit jedoch bei keinem der vier maßgeblichen Verbände unter den Top 15 der Rangliste aufgeführt. Um die Form zu wahren und den Statuten Genüge zu tun, wird der Boxer unter solchen Umständen für gewöhnlich kurzerhand soweit nach vorn umplaziert, daß zumindest der äußere Anschein stimmt. Nicht so im vorliegenden Fall, was auf eine wachsende Gleichgültigkeit der Verbandsführung hinsichtlich des eigenen Rufs schließen läßt. Offenbar ist das Hemd gedeihlicher Zusammenarbeit mit mehr oder minder einflußreichen Promotern näher als der Rock von Regeltreue und Seriosität.

Gegen Paul Smith, der 38 Auftritte gewonnen und sechs verloren hat, spricht zudem der bedenkliche Umstand, daß er in den letzten zwei Jahren bei drei von sechs Kämpfen den kürzeren gezogen hat. So ist der Brite zweimal bei dem Versuch gescheitert, einem Weltmeister den Gürtel abzujagen, was zwangsläufig die Frage aufwirft, warum er eine weitere Chance bekommt und damit einer ganzen Reihe talentierterer Kandidaten vorgezogen wird. Im September 2014 verlor Smith in Berlin gegen den damaligen WBO-Champion Arthur Abraham nach Punkten, beklagte sich jedoch hinterher lautstark, er sei angesichts eines angeblichen Heimvorteils des Lokalmatadors betrogen worden und fordere deshalb umgehend Revanche. Wenngleich in diesem Fall nicht nur das Lager des Titelverteidigers, sondern auch das Gros internationaler Experten der Auffassung war, daß an der Wertung nicht zu rütteln sei, waren Abraham und sein Promoter Sauerland nicht unglücklich über die Einwände des gescheiterten Herausforderers. Diese boten Gelegenheit, dem Publikum einen weiteren wenig riskanten Kampf gegen den Briten als Akt der Fairneß zu verkaufen. Beim Rückkampf bezog Smith im Februar 2015 eine noch deutlichere Punktniederlage, womit das Kapitel endgültig geschlossen war.

Wenngleich der Brite zweimal an Abraham gescheitert war, wurde Andre Ward auf ihn aufmerksam, der nach einer längeren Zwangspause und seinem Aufstieg ins Halbschwergewicht einen nicht allzu anspruchsvollen Aufbaugegner suchte. Der Kalifornier galt als führender Akteur im Supermittelgewicht, hatte aber aufgrund anhaltender Vertragsstreitigkeiten mit seinem damaligen Promoter Dan Goossen weit über ein Jahr keinen Kampf mehr bestritten. Insofern war er gut beraten, sich einen relativ leichten Kontrahenten auszusuchen, auch wenn er für diese Entscheidung eine Menge Kritik einstecken mußte. Als es im Juni 2015 zum Kampf kam, hielt Smith zunächst recht gut durch, bis er sich schließlich durch technischen K.o. in der neunten Runde geschlagen geben mußte. Seither hat der Brite drei Kämpfe gegen die ausnehmend schwachen Kontrahenten Bronislaw Kubin, Bartlomiej Grafka und Daniel Reji gewonnen, zwei davon vorzeitig.

Tyron Zeuge, für den 19 Siege und ein Unentschieden zu Buche stehen, zählte zu den vielversprechendsten Nachwuchstalenten im Team Sauerland. Im Juli 2016 bekam er seine erste Titelchance, als er vor 5.000 Zuschauern in der Berliner Max-Schmeling-Halle den regulären WBA-Weltmeister im Supermittelgewicht, Giovanni de Carolis, in der Hoffnung herausforderte, jüngster deutscher Profiweltmeister aller Zeiten zu werden. Zeuge zog sich dabei jedoch eine Verletzung zu und konnte den überwiegenden Teil des Kampfs nur mit einem gesunden Arm bestreiten. Er hielt dennoch tapfer bis zum Ende durch, mußte dem Italiener aber mehr oder minder das Feld überlassen. Um so erstaunlicher war die Wertung der Punktrichter, die den Lokalmatador mit einem Unentschieden beschenkten, das nach Einschätzung ausländischer Experten eine Fehlentscheidung war. [1]

Wenngleich Giovanni de Carolis nicht zum ersten Mal schlechte Erfahrungen bei einem Auftritt in Deutschland gemacht hatte, erklärte er sich zu einer Revanche bereit. Möglicherweise war er dazu vertraglich verpflichtet oder bekam von Sauerland ein finanzielles Angebot, wie er es anderswo kaum erzielt hätte. Im November 2016 machte der Italiener in Berlin erneut eine gute Figur, ließ aber gegen Ende des Kampfs nach und mußte sich durch K.o. in der zwölften Runde geschlagen geben. So wurde Tyron Zeuge regulärer Weltmeister der WBA, womit er eine Stufe unter dem Superchampion dieses Verbands und den Titelträgern der Verbände WBC, WBO und IBF rangiert. Die Verbandsführung der WBA hat zwar angekündigt, sie wolle diese für Außenstehende nicht nachvollziehbare doppelte Titelvergabe in allen Gewichtsklassen Zug um Zug abbauen, doch ist davon noch nicht allzu viel zu bemerken.

Daß Tyron Zeuge seinen Titel nicht gegen namhaftere Kandidaten wie Jesse Hart, George Groves oder Anthony Dirrell verteidigt, die zu stark für ihn wären, liegt auf der Hand. Zudem ist Paul Smith ein Kandidat, mit dem Sauerland Event schon in der Vergangenheit zusammengearbeitet hat. Das erleichtert das Verfahren und beschert Zeuge eine Aufgabe, die zu bewältigen er in der Lage sein sollte. Den deutschen Zuschauern läßt sich der Brite unter Verweis auf seine beiden Kämpfe gegen Arthur Abraham anpreisen, so daß den unmittelbar Beteiligten gedient zu sein scheint. Dagegen ist nichts einzuwenden, doch sollte man diese Ebene andererseits auch nicht kommentarlos mit der internationalen Spitzenklasse des Supermittelgewichts gleichsetzen.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/01/paul-smith-face-wba-champion-tyron-zeuge-march-18/#more-224362

4. Januar 2017


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