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MELDUNG/2108: Pläne mit und ohne Wirt (SB)



Deontay Wilder will die Konkurrenz im Schwergewicht abräumen

Deontay Wilder, WBC-Weltmeister im Schwergewicht aus Tuscaloosa in Alabama, bekommt es am 25. Februar mit seinem ebenfalls ungeschlagenen Landsmann Gerald Washington zu tun. Obgleich dem Champion damit eine anspruchsvolle Aufgabe ins Haus steht, denkt er doch bereits über den Tag hinaus. Einen Erfolg beim kommenden Auftritt vorausgesetzt, steht ihm der Sinn nach dem Sieger des Kampfs zwischen WBO-Weltmeister Joseph Parker aus Neuseeland und dessen britischem Herausforderer Hughie Fury, die voraussichtlich im April aufeinandertreffen. Wilder steht mit der Prognose nicht allein, Parker im Vorteil zu sehen. Furys Chancen könnten allenfalls dann steigen, wenn er vor heimischem Publikum antreten dürfte, wie es derzeit im Gespräch ist. Der Neuseeländer möchte sich der britischen Fangemeinde empfehlen und die höheren Einnahmen aus dem dortigen Pay-TV mitnehmen.

Für den WBC-Champion aus den USA wäre es eigenen Angaben zufolge kein Problem, Parker vor dessen heimischem Publikum zu begegnen. Er würde die Entscheidung ohnehin nicht den Punktrichtern überlassen, sondern versuchen, einen weiteren vorzeitigen Sieg einzufahren. Hätte er auch den WBO-Titel gewonnen, könnten die Gürtel der WBA und IBF an die Reihe kommen, die dann entweder der Brite Anthony Joshua oder Wladimir Klitschko besäße. Liefe alles nach Plan, könnte Wilder das Jahr 2017 als unangefochtener Weltmeister aller Verbände im Schwergewicht beschließen.

Kritiker des US-Amerikaners bezweifeln allerdings, daß er sich gegen Parker und Joshua durchsetzen könnte. Zumindest dem Briten trauen viele Experten zu, Wilder Paroli zu bieten und seinerseits die alleinige Führerschaft in der Königsklasse zu übernehmen. Indessen ist der WBC-Champion mit 2,01 m etwas größer als Joshua und er verfügt über Reichweitenvorteile. Vor allem aber dürfte er an Schlagwirkung und Schnelligkeit überlegen sein. Er ist zwar kein ehemaliger Olympiasieger und Star des Bezahlfernsehens wie der in England überaus populäre Brite, doch dürfte das keine Rolle spielen, sollten die beiden tatsächlich im Ring aufeinandertreffen.

Das seien die Pläne, die er gemeinsam mit seinem Team für das Jahr 2017 entworfen habe, so Wilder. Es gehe ihm in erster Linie um die Zusammenführung der Titel. Wenngleich er Gerald Washington keineswegs auf die leichte Schulter nehme, begebe er sich vorab auf einen Schaufensterbummel und nehme künftige Optionen in Augenschein. Einen Strich durch die Rechnung könnte ihm Hughie Fury machen, sofern der Cousin des ehemaligen Weltmeisters Tyson Fury überraschend die Oberhand gegen Joseph Parker behielte. Fury könnte als neuer WBO-Champion am meisten Geld bei einem Kampf gegen Anthony Joshua verdienen und würde es kaum riskieren, für eine geringere Börse von Wilder auf die Bretter geschickt zu werden. Wenn schon verlieren, dann so lukrativ, daß es auch für spätere Jahre reicht, dürfte in einem solchen Fall die Devise des Briten sein, käme er denn an Parker vorbei.

Vorerst sollte sich Wilder aber voll und ganz auf Gerald Washington konzentrieren, der 18 Siege sowie ein Unentschieden vorzuweisen hat und seine Größe von 1,98 m ausgezeichnet umzusetzen versteht. Bei seinen letzten beiden erfolgreichen Titelverteidigungen gegen Chris Arreola und Artur Szpilka hatte der WBC-Champion Herausforderer vor den Fäusten, die ihm nicht gewachsen waren. Washington könnte ihm aufgrund seiner Statur und beachtlichen Schlagwirkung wesentlich größeren Widerstand entgegensetzen. [1]

Da der Weltmeister in 37 Kämpfen unbezwungen ist und dabei nur ein einziges Mal über die volle Distanz von zwölf Runden gehen mußte, als er dem robusten Kanadier Bermane Stiverne den WBC-Titel abnahm, sollte an die Wirksamkeit seiner Schläge längst kein Zweifel mehr bestehen. Sein Problem war zumeist nicht so sehr der Gegner, als vielmehr die eigene Physis, da er sich schon dreimal die rechte Hand gebrochen und zuletzt gegen Chris Arreola auch einen Muskelriß am Bizeps zugezogen hat. Von der Wucht seiner Treffer abgesehen, hat er sich über die Jahre boxerisch weiterentwickelt und ist trotz seiner Größe sehr schnell geblieben.

Bei seinem Auftritt in Birmingham, Alabama, kann er sich des Publikums sicher sein, das ihn euphorisch anfeuern wird. Warum er trotz seiner langen Serie vorzeitiger Siege und der endlosen Durststrecke ohne US-amerikanischen Weltmeister im Schwergewicht, die er überzeugend beendet hat, in anderen Landesteilen weniger populär und noch immer keine Zugnummer im Bezahlfernsehen ist, gleicht einem Buch mit sieben Siegeln. Zumindest bleibt das eine offene Frage, die zu klären eine ganze Reihe mutmaßlicher Gründe auf den Plan ruft.

Einer davon ist sicher der Umstand, daß der Boxsport in den USA genaugenommen längst ein Nischendasein fristet. Die langjährige Konzentration auf das Pay-TV hat dazu geführt, daß eine Million Zuschauer bei einem hochklassigen Kampf, die Preise zwischen 60 und 100 Dollar für die Übertragung bezahlen, schon ein ausgezeichnetes Ergebnis sind, das von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen kaum jemals erreicht wird. Außer der Geldmaschine Floyd Mayweather, der mit nur zwei Auftritten pro Jahr zum bestverdienenden Sportler weltweit aufstieg, aber seine Karriere inzwischen beendet hat, bringen nur noch der bei seinen Landsleuten beliebte Mexikaner Saul "Canelo" Alvarez oder allenfalls der Puertoricaner Miguel Cotto eine riesige Fangemeinde mit, die für volle Kassen sorgt. Folglich gleicht die Auswahl des nächsten Gegners nicht selten eher der Kalkulation eines Buchhalters, als einer nachvollziehbaren sportlichen Logik.

Vielleicht fehlt es aber auch Wilders Promoter Lou DiBella, der in New York eine erstklassige und hochgelobte Arbeit verrichtet, schlichtweg an Einfluß, was die Branche insgesamt betrifft. Jedenfalls verdankt sich die Bereitschaft des WBC-Weltmeisters, gern auch in England oder gar in Neuseeland anzutreten, sicher nicht zuletzt dem Umstand, daß er dort unter Umständen viel mehr als zu Hause verdienen kann. Der mit 26 Jahren und erst 18 Profikämpfen wesentlich jüngere und unerfahrenere Anthony Joshua verkauft sich hervorragend im britischen Pay-TV und tritt gegen Klitschko vor 90.000 Zuschauern im Londoner Wembley-Stadion an. Davon kann Deontay Wilder in den USA nur träumen.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/02/wilder-washington-want-parker-fury-winner/#more-226795

10. Februar 2017


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