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MELDUNG/2138: Wiedergänger im deutschen Nischenmilieu (SB)



Tyron Zeuge verteidigt seinen Titel gegen Paul Smith

Tyron Zeuge verteidigt den Titel des regulären Weltmeisters der WBA im Supermittelgewicht voraussichtlich am 17. Juni in Deutschland gegen Paul Smith. Während der in Berlin lebende Champion aus dem Team Sauerland 20 Siege und ein Unentschieden vorzuweisen hat, stehen für den Briten, der an Nummer fünf der WBA-Rangliste geführt wird, 38 gewonnene und sechs verlorene Auftritte zu Buche. Das Geschehen spielt sich in einer Nische ab, in die sich das deutsche Profiboxen nach dem Rückzug der öffentlich-rechtlichen Sender mangels ausreichender Finanzierung notgedrungen zurückgezogen hat. Zeuge profitiert von dem Umstand, daß die WBA neben dem Superchampion eine Etage tiefer noch einen weiteren Weltmeister führt, der gewissermaßen auf einem Nebengleis fährt, für das sich die namhaftesten Akteure der Gewichtsklasse eher nicht interessieren. Das könnte durchaus seinen eigenen Charme haben und das hiesige Publikum nicht sonderlich irritieren, wirft allerdings im aktuellen Fall etliche skeptische Fragen auf.

Der 34jährige Brite ist hierzulande insofern ein alter Bekannter, als er bereits zweimal gegen Arthur Abraham verloren hat, als dieser noch WBO-Weltmeister war. Im September 2014 riß der Berliner zwar keine Bäume aus, setzte sich aber klar und einstimmig nach Punkten durch, wogegen auch niemand Einwände erhob, außer dem Team des Herausforderers. Obgleich der Kampf nicht einmal knapp ausgegangen war, jammerte Smith, er sei in fremder Arena benachteiligt worden und fordere eine Revanche. Die bekam er prompt, wohl weil sich Abraham und Sauerland ausrechnen konnten, daß damit ein weiterer Sieg ins Haus stand. Beim zweiten Anlauf sah es denn auch noch schlechter für den Briten aus, worauf die Frage in Vergessenheit geriet, warum in aller Welt ein Boxer, der einen Titelkampf mit Pauken und Trompeten verloren hatte, sofort den nächsten bekam.

Irgendwie machte Paul Smith, der zuvor schon gegen James DeGale, George Groves und Steven Bendall verloren hatte, mit diesen beiden Niederlagen gegen Abraham halbwegs Karriere. Als kein Geringerer als Andre Ward, der damals führende Akteur im Supermittelgewicht, nach längerer Pause für Juni 2015 einen Aufbaugegner als Kanonenfutter suchte, fiel seine Wahl überraschend auf den Briten. Für Smith war das ein weiteres Geschenk des Himmels, da der Kalifornier als einer der besten Boxer aller Gewichtsklassen gilt und sozusagen der Liga der Superstars zugerechnet wird. Der Brite sah wie erwartet kein Land und landete in der neunten Runde geschlagen auf den Brettern.

Nach diesen drei Niederlagen schien Paul Smith sein Blatt endgültig ausgereizt zu haben und in der Versenkung zu verschwinden. Er setzte sich jenseits des Rampenlichts gegen Bronislav Kubin, Bartlomiej Grafka und Daniel Regi durch, die zusammen 65 Kämpfe gewonnen und 55 verloren haben, was erklärt, warum man noch nie etwas von ihnen gehört hatte. Um so überraschender kam dann die Ende letzten Jahres kursierende Meldung, daß der Brite für einen Titelkampf gegen Tyron Zeuge vorgesehen sei. Wie sollte das möglich sein, wo Smith doch nicht einmal unter den Top 15 der WBA-Rangliste geführt wurde? Dem konnte abgeholfen werden, katapultierte ihn der Verband doch kürzlich auf den fünften Platz und damit sogar noch vor Abraham, gegen den er zweimal verloren hatte.

Dieser Winkelzug gestattet es Zeuge, am Ende doch guten Gewissens gegen den Briten anzutreten und mögliche Einwände unter Verweis auf die Rangliste abzuwehren. So bekommt Paul Smith also seinen dritten Titelkampf, womit er insofern in guter Gesellschaft ist, als seine Landsleute George Groves mit drei und Martin Murray mit vier verlorenen Titelkämpfen noch immer recht gut im Geschäft sind. Kein Wunder, daß sich der Brite hocherfreut gab, als die frohe Kunde Gestalt annahm, daß nun endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden könnten. Dies sei der Kampf, auf den er seit November oder Dezember gewartet habe und der einzige, den er sich wirklich wünsche.

Als Tyron Zeuge am 16. Juli 2016 erstmals versuchte, Giovanni de Carolis den Titel des regulären WBA-Weltmeisters abzujagen, machte er in der Anfangsphase eine recht gute Figur. Dann kam ihm jedoch eine Schulterverletzung in die Quere, worauf er den überwiegenden Teil des Kampfs praktisch nur mit einem gesunden Arm bestreiten konnte. Der Italiener schien denn auch einem sicheren Punktsieg entgegenzusteuern, mußte sich aber am Ende mit einem überraschenden Unentschieden begnügen. Das Berliner Publikum feierte den tapferen Lokalmatador, und der Champion ließ es bei moderatem Einspruch bewenden, hatte er doch seinen Gürtel behalten und eine lukrative Revanche in Aussicht. So kam es, daß Zeuge im zweiten Anlauf wiederum in Berlin doch noch Weltmeister wurde.

Ähnlich wie im Falle Paul Smiths hat auch diese Kette wiederholter Duelle ihre Vorgeschichte. Giovanni de Carolis hatte den Titel nämlich von Vincent Feigenbutz gewonnen, den er im Januar 2016 besiegen konnte. Seither war der Italiener so etwas wie ein Geschäftspartner für Sauerland, auf den man mit Hilfe einer angemessenen Börse immer wieder zurückgreifen konnte, wenn ein Titelkampf auf die Beine gestellt werden sollte. Tyron Zeuge hat sich im März durch eine technische Entscheidung in der fünften Runde gegen Isaac Ekpo durchgesetzt, wobei böse Zungen argwöhnten, die Verletzung habe den Berliner vor einer drohenden Niederlage bewahrt. So zumindest sah es der erboste Herausforderer, der jedoch an der regelkonformen Entscheidung nichts ändern konnte.

Sollte Paul Smith in Bestform antreten, motiviert kämpfen und vor allem nicht von Konditionsschwäche heimgesucht werden, könnte er gegen Tyron Zeuge die Oberhand behalten. Da der Brite jedoch bei seinen letzten Kämpfen de facto als Halbschwergewichtler auf der Waage stand, sind Zweifel angebracht, ob er im Supermittelgewicht ohne gravierenden Substanzverlust antreten kann. Der Berliner ist nicht gerade für eine ausgeprägte Schlagwirkung bekannt, so daß der Herausforderer über die Runden kommen könnte. Das allein wird jedoch kaum ausreichen, da der Kampf in Deutschland ausgetragen wird, wo ein Punktsieg des ausländischen Gastes im Zweifelsfall eher unwahrscheinlich ist. [1]


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/05/tyron-zeuge-vs-paul-smith/#more-234481

16. Mai 2017


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