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MELDUNG/2160: In England lockt die größte Börse (SB)



Andre Ward wünscht sich einen Kampf gegen Anthony Joshua

Andre Ward war der weltbeste Akteur im Supermittelgewicht und nimmt diese Position nun auch im Halbschwergewicht ein. Mit zwei mehr oder minder umstrittenen Siegen über den Russen Sergej Kowaljow hat sich der ungeschlagene Kalifornier aus Oakland die Titel der Verbände WBA, WBO und IBF gesichert und sie erfolgreich verteidigt. Jetzt plant er einen Aufstieg ins Cruisergewicht oder Schwergewicht, um noch einige wenige spektakuläre Kämpfe zu bestreiten und danach seine Karriere zu beenden. Wie sein Trainer Virgil Hunter verlauten ließ, strebe Ward einen Kampf gegen den besten Boxer der Königsklasse an, und das sei derzeit Anthony Joshua. Wenngleich die britischen Fans diese Auffassung sicher teilen, sind doch Einwände geboten. Zum einen hat Joshua die Revanche gegen Wladimir Klitschko noch vor sich, zum anderen wären die Weltmeister Deontay Wilder (WBC) und Joseph Parker (WBO) zu nennen, die der Brite erst einmal in die Schranken weisen müßte, bevor er sich unangefochtener Champion des Schwergewichts nennen könnte.

Im Grunde genommen spricht Hunter etwas anderes an, ohne es direkt beim Namen zu nennen. Mit einem Kampf gegen Joshua in England ließe sich sehr viel mehr Geld als mit irgendeinem anderen Gegner verdienen, da das britische Boxgeschäft boomt. Als Anthony Joshua im mit 90.000 Zuschauern ausverkauften Londoner Wembley-Stadion gegen Wladimir Klitschko antrat, hätte man nach Angaben der Veranstalter gut und gern doppelt so viele Eintrittskarten verkaufen können. Zudem verzeichnet das britische Pay-TV enorme Umsätze, wozu sich noch die Übertragungsrechte in andere Länder gesellen. Für den 33 Jahre alten Andre Ward wäre Joshua daher in finanzieller Hinsicht die weitaus einträglichste Option.

Das Problem ist jedoch, daß Joshua nach Lage der Dinge mindestens drei andere Kämpfe absolvieren muß, ehe Ward an die Reihe kommen könnte. Im November steht die Revanche gegen Wladimir Klitschko an, die diesmal nicht in London, sondern in Las Vegas über die Bühne gehen soll. Joshua und sein Promoter Eddie Hearn nehmen geringere Erlöse bei den Eintrittskarten in Kauf, um den Champion in den USA bekannt zu machen. Sollte der Brite seine Titel behalten, müßte er den Gürtel der IBF im nächsten Schritt gegen den Pflichtherausforderer Kubrat Pulew verteidigen. Der Bulgare ist zwar kein besonders interessanter Gegner, doch da Joshua alle Titel zusammenführen will, wird er sich wohl auch dieser Aufgabe stellen. Danach käme entweder Wilder oder Parker an die Reihe, und im für Ward ungünstigsten Fall müßte er sogar solange warten, bis Anthony Joshua alle beide abgearbeitet hat. Möglicherweise bricht diese Rechnung aber auch dadurch zusammen, daß der Brite seine Titel schon vorher verliert und die Karten neu gemischt werden.

Da Andre Ward nicht zwei Jahre untätig herumsitzen und auf Joshua warten kann, stellt sich die Frage, was er unterdessen in Angriff nimmt. Seit einiger Zeit ist mit Tony Bellew ein weiterer Brite als möglicher Gegner im Gespräch, der ebenfalls einen einträglichen Auftritt verspräche. Der Haken ist jedoch, daß Bellew nicht mehr den Rang des WBC-Weltmeisters im Cruisergewicht bekleidet, sondern vom Verband zum Champion im Ruhestand zurückgestuft wurde. Dieser merkwürdige Status gewährt Bellew das Vorrecht, im Falle einer Rückkehr sofort gegen den jeweiligen Weltmeister antreten zu dürfen. Neuer Champion ist Mairis Briedis, der sich in einem Ausscheidungskampf gegen Marco Huck durchgesetzt hat.

Tony Bellew wird mit Sicherheit im Schwergewicht bleiben, wo ihm eine lukrative Revanche gegen David Haye oder andere attraktive Optionen in Aussicht stehen. Er wird keinesfalls ins Cruisergewicht zurückkehren, um sich dort seinem Nachfolger zu stellen, der ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit überfordern würde. Läßt man die Liste der Gegner Revue passieren, die Bellew im Cruisergewicht besiegt hat, findet man darin keinen einzigen Kandidaten der allerersten Garnitur. Als der Liverpooler den WBC-Titel gewonnen hatte, verkündete er aller Welt, daß er nun der beste Akteur seiner Gewichtsklasse sei und niemand ihn aufhalten könne. Abgesehen von seiner Fangemeinde nahm ihm das keiner ab, so daß allenthalben Aufzählungen kursierten, wer höher als Bellew einzuschätzen sei.

Normalerweise müßte Ward zunächst im Cruisergewicht gegen Bellew antreten und ihn besiegen, um sich dann im Schwergewicht mit einem anspruchsvollen Kandidaten wie Luis Ortiz zu messen, wodurch er womöglich zum Pflichtherausforderer Anthony Joshuas aufsteigen könnte. Diesen Weg wird der Kalifornier jedoch nicht nehmen. Zum einen ist Bellew ziemlich unattraktiv für ihn geworden, seit er nicht mehr regulärer Weltmeister ist. Zum anderen wäre ein massiver Kontrahent wie Ortiz viel zu gefährlich für Ward, der ja aus wesentlich leichteren Limits aufsteigt und deshalb körperlich unterlegen wäre. Es handelt sich nach Hunters Worten ohnehin um ein ziemlich verrücktes Vorhaben, zumal Ward höchstwahrscheinlich nicht mehr als zwei weitere Kämpfe bestreiten werde, bevor er die Boxhandschuhe endgültig an den Nagel hängt. [1]

Ward und Hunter reden folglich über eine Abkürzung zu Joshua, ohne genau angeben zu können, wie diese konkret aussehen könnte. Der Aufstieg ins lukrativere Schwergewicht enthebt den Kalifornier nicht zuletzt der näherrückenden Konfrontation mit Artur Beterbijew, den viele Experten für den gefährlichsten Akteur im Halbschwergewicht halten. Gewinnt der Russe den bevorstehenden Ausscheidungskampf gegen den als krassen Außenseiter gehandelten Enrico Kölling, ist er neuer Pflichtherausforderer der IBF. Andre Ward ist nicht mehr der alles überragende Boxer wie vor sechs Jahren beim Super-Six-Turnier. Aus der Distanz war er chancenlos gegen Sergej Kowaljow, worauf er ihm im Infight mit allen erlaubten, grenzwertigen und definitiv regelwidrigen Aktionen zusetzte, denen der Russe letztlich nichts entgegenzusetzen hatte. Ward braucht dafür allerdings einen Ringrichter, der ihn gewähren läßt und wie bei der Revanche sogar Tiefschläge in Serie aus unerfindlichen Gründen übersieht. Wie der Kalifornier nach seinem erneuten Sieg verkündete, zähle einzig und allein, was zum Erfolg führt

Im Unterschied zu Kowaljow bräuchte Beterbijew keinen Referee, der ihn vor unerlaubten Übergriffen schützt. Er entfaltet dicht am Gegner seine gefährlichste Schlagwirkung, die jene Wards bei weitem übertrifft und daher Gift für den Kalifornier wäre. Aus diesem Grund hätte Ward keine Zukunft im Halbschwergewicht, da ihn eine Niederlage aller Chancen berauben würde, den einen oder anderen lukrativen Kampf in höheren Limits zu bekommen. Virgil Hunter scheint durchaus bewußt zu sein, daß seinem Boxer einerseits viele Türen offenstehen, die sich andererseits sehr schnell wieder schließen können. So wägt er denn auch in seiner jüngsten Stellungnahme die Perspektiven gegeneinander ab, ohne zu einem eindeutigen Resultat vorzudringen. Ward sei mit seinen 33 Jahren noch in so guter körperlicher Verfassung, daß er es durchaus wagen könne, noch einige Kämpfe zu bestreiten und sofort ins Schwergewicht zu springen. Gelinge dieses Wagnis, könne man immer noch entscheiden, wie weiter zu verfahren sei. Andererseits habe er Andre stets ermutigt, einen Schlußstrich zu ziehen, solange er noch an der Spitze stehe. Da Ward mit seinen Einkünften immer sehr klug und diszipliniert umgegangen sei, habe er in dieser Hinsicht die Voraussetzungen dafür geschaffen, den Zeitpunkt für den Schritt in ein Leben nach dem Boxen frei von finanziellen Zwängen zu bestimmen.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/07/joshua-vs-ward/#more-239206

28. Juli 2017


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