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MELDUNG/2163: Hasenfuß hält sich die Hintertür offen (SB)



Saul "Canelo" Alvarez geht lieber auf Nummer Sicher

Daß der Mexikaner Saul Alvarez, seines rötlichen Haares wegen besser als "Canelo" (Zimt) bekannt, mit dem World Boxing Council (WBC) auf Kriegsfuß steht, ist kein Geheimnis. Während er jedoch den Eindruck erweckt, der Verband habe ihm übel mitgespielt, weshalb ihm dessen Titel gestohlen bleiben könne, argwöhnen Kritiker, dahinter stecke ein ganz anderer Grund. Wie "Canelo" verkündet hat, kämpfe er am 16. September gegen Gennadi Golowkin um alle verfügbaren Gürtel, nicht jedoch die Trophäe des WBC. Das Kuriosum eines Boxers, der von vornherein nicht alles haben will, was er im Falle des Sieges bekommen könnte, nährt einen postwendend kursierenden Verdacht: Sollte Alvarez gegen Golowkin gewinnen, wolle er Jermall Charlo aus dem Weg gehen.

Der in 26 Kämpfen ungeschlagene Charlo gilt nach seinem Aufstieg ins Mittelgewicht als gefährlichster Akteur neben dem Kasachen und ist Pflichtherausforderer beim WBC. Würde "Canelo" neuer Weltmeister des Verbands, müßte er sich diesem Gegner in absehbarer Zeit stellen, was er offenbar präventiv auszuschließen gedenkt. Müßte der Mexikaner hingegen den IBF-Titel verteidigen, bekäme er es mit dem Ranglistenersten Tureano Johnson zu tun. Der ist zwar auch ein solider Mittelgewichtler, doch längst nicht so gefährlich wie Jermall Charlo.

Nun könnte man natürlich einwenden, daß Saul Alvarez ohnehin gegen "GGG" verlieren wird, so daß sich für ihn das Problem Jermall Charlo gar nicht stellen dürfte. Nachdem "Canelo" und sein Promoter Oscar de la Hoya dem Kasachen zwei Jahre lang unter wechselnden Ausflüchten aus dem Weg gegangen waren, legte der Mexikaner im vergangenen Jahr sogar den WBC-Titel nieder, um nicht gegen Golowkin antreten zu müssen. Dieser war durch einen Sieg gegen Marcos Antonio Rubio im Oktober 2014 Interimsweltmeister dieses Verbands geworden, so daß ihm als Pflichtherausforderer ein Kampf gegen "Canelo" zustand. Das WBC räumte dem Mexikaner sogar die Gelegenheit ein, seinen Titel zuvor freiwillig gegen Amir Khan zu verteidigen. Der Brite befand sich nicht nur auf dem absteigenden Ast seiner Karriere, sondern tritt normalerweise im Weltergewicht an. Wenngleich er körperlich kräftig zulegte, um sich zwei Gewichtsklassen höher mit Alvarez zu messen, konnte er ihm doch angesichts seiner physischen Unterlegenheit nicht gefährlich werden.

Kam schon dieses Mißverhältnis bei Fans und Experten schlecht an, so wuchs sich die Kritik um so heftiger aus, als "Canelo" der Aufforderung nicht nachkam, im Anschluß daran in Verhandlungen mit Golowkin über einen Kampf einzutreten. Sollte Alvarez dem Verband zürnen, weil der seine Aufgabe wahrgenommen hatte, Golowkin zu seinem Recht zu verhelfen, wäre das denn doch höchst verwunderlich. Naheliegender ist da schon, daß der Mexikaner den Kasachen mied und nun dasselbe mit Blick auf Charlo vorhat.

Trainer Robert Garcia und sein Sohn Mikey Garcia, der Weltmeister in drei Gewichtsklassen geworden ist, reihen sich in den Chor kritischer Stimmen ein. Wie sie hervorheben, ist der Gürtel des WBC seit jeher die bevorzugte Trophäe mexikanischer Boxer. Deshalb stehe es "Canelo" schlecht zu Gesicht, ausgerechnet diesem Titel eine Absage zu erteilen. Mikey Garcia unterstreicht, daß er nie Probleme mit diesem Verband gehabt, sondern im Gegenteil mehrfach die Chance bekommen habe, um einen WBC-Gürtel zu kämpfen. Die mexikanische Fangemeinde teile die Auffassung, daß dies der wichtigste aller Titel sei. Als Miguel Cotto WBC-Champion im Mittelgewicht war, sah "Canelo" darin kein Hindernis, im November 2015 gegen den Puertoricaner anzutreten und ihm den Gürtel abzujagen. Als er jedoch auf dem heißen Stuhl Platz genommen hatte, forderte er eine Sonderbehandlung, was die Auswahl der Herausforderer betraf. [1]

Mag sein, daß "Canelo" zu lange hofiert worden ist und deshalb Verhaltensweisen einer Primadonna herausgebildet hat. Im Kern geht es ihm und seinem Promoter jedoch wie so oft darum, die gefährlichsten Klippen weiträumig zu umschiffen. Das Programm, Saul Alvarez zum Superstar aufzubauen, läßt nun einmal keine Niederlage zu. Als er im Halbmittelgewicht antrat, bezog er dort im September 2013 gegen Floyd Mayweather seine erste und einzige Niederlage. Wenngleich der Kampf recht ausgeglichen zu verlaufen schien, erteilte der damals 36jährige Mayweather dem dreizehn Jahre jüngeren Mexikaner eine Lektion. Seither ist Oscar de la Hoya auf der Hut, seinen populärsten und einträglichsten Boxer nicht zu überfordern.

Das wäre im Juli 2014 um ein Haar schiefgegangen, als auch der technisch klar überlegene Kubaner Erislandy Lara den Mexikaner vorführte, jedoch knapp und umstritten nach Punkten verlor. "Canelo" war als Favorit des mexikanischstämmigen Publikums längst so wichtig für die Branche, daß er im Zweifelsfall den Zuschlag bekam. Er setzte sich gegen Alfredo Angulo und James Kirkland durch, die beide nicht mehr zur Spitze im Halbmittelgewicht gehörten. Kirkland, den er im Mai 2015 in die Schranken wies, hatte seit fast zwei Jahren keinen Kampf mehr bestritten und kehrte auch danach nicht mehr in den Ring zurück. Im September 2016 nahm Alvarez in Arlington dem körperlich unterlegenen Briten Liam Smith den WBO-Titel ab. Die gefährlichen Zwillingsbrüder Jermall und Jermell Charlo ließ er weiterhin links liegen, statt dessen demolierte er im Mai 2017 in Las Vegas bei einem Prestigekampf seinen Landsmann Julio Cesar Chavez jun., Sohn der gleichnamigen mexikanischen Legende. Auch dies ein geschickter Schachzug Oscar de la Hoyas, da sich das Duell ausgezeichnet vermarkten ließ, Chavez jedoch durch den erforderlichen Gewichtsverlust so geschwächt war, daß Saul Alvarez leichtes Spiel hatte.

Die eigentliche Überraschung war jedoch, daß "Canelo" nach seinem Sieg noch im Ring ankündigte, er werde am 16. September gegen Gennadi Golowkin antreten. Wenn er auf den in 37 Kämpfen ungeschlagenen Kasachen trifft, wird er erstmals seit Jahren keinen physisch geschwächten oder alternden Gegner vor sich haben. Der Weltmeister der Verbände WBA, WBC, IBF und IBO ist zwar ein vergleichsweise leichter, aber waschechter Mittelgewichtler. "Canelo" wird ihn mit seinem üblichen Winkelzug, nach dem offiziellen Wiegen durch nächtliches Rehydrieren per Infusion wieder erheblich schwerer zu werden, eher nicht beeindrucken können. Was mag diesen Sinneswandel bei den Golden Boy Promotions herbeigeführt haben? Vielleicht war die Einsicht gereift, daß man den seit Jahren geforderten Prestigekampf nicht länger verzögern könne, ohne einen bedenklichen Gesichtsverlust zu riskieren. Möglicherweise hatte man die Gegenseite aber auch zu einer vergleichsweise bescheidenen Börse genötigt und damit kalkuliert, daß man Golowkin nie günstiger bekommen werde.

Vermutlich hat jedoch dessen Kampf gegen Daniel Jacobs am 18. März eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung gespielt, sich jetzt mit ihm zu messen. Der Kasache hatte zwar nach Punkten gewonnen, aber den Nimbus eingebüßt, er könne jeden Gegner vorzeitig besiegen. Daraufhin ging ein Aufatmen durch die Konkurrenz, und es machte das Wort die Runde, daß auch Gennadi Golowkin nur ein menschliches Wesen sei. So gesehen hat sich der Kasache mit dem Auftritt in New York, der seinem Ruf zu schaden schien, womöglich den denkbar größten Gefallen getan: Sein Wunschgegner Saul Alvarez hat endlich Mut gefaßt, ihm am Ende doch noch im Ring gegenüberzutreten.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/08/canelo-ducking-charlo/#more-239839

4. August 2017


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