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MELDUNG/2178: Junger Ruhm mit Fragezeichen (SB)



David Benavidez mit 20 Jahren Champion im Supermittelgewicht

Das ambitionierte Vorhaben, als jüngster Boxer, der jemals Weltmeister im Supermittelgewicht geworden ist, Geschichte zu schreiben, wäre für den 20jährigen David Benavidez um ein Haar schiefgegangen. Vielleicht hatten ihm die Vorschußlorbeeren zugesetzt, mit denen er im Vorfeld überhäuft worden war. Vielleicht hatte ihn aber auch die offenbar notwendige Gewichtsreduzierung geschwächt, wirkte er doch beim offiziellen Wiegen reichlich dünn und ausgelaugt. Jedenfalls bot er bei seinem hauchdünnen Punktsieg über Ronald Gavril, der ihm den vakanten Titel des World Boxing Council (WBC) bescherte, keine überzeugende Vorstellung. Während ihn zwei Punktrichter in Front sahen (116:111 und 117:111), gab der dritte seinem Gegner den Zuschlag (116:111). Wenngleich der Sieg des nunmehr in 19 Kämpfen ungeschlagenen Benavidez auf keinem Fehlurteil beruhte, weist die erhebliche Divergenz der Voten doch darauf hin, wie eng etliche Runden verlaufen waren. Ronald Gavril, für den nun 18 gewonnene und zwei verlorene Auftritte zu Buche stehen, widerlegte im Hard Rock Hotel und Casino in Las Vegas die vorgefaßte Meinung, er werde in diesem Kampf von Glück reden können, wenn er nicht frühzeitig auf den Brettern lande.

Der aus Phoenix, Arizona, stammende David Benavidez gab in der Anfangsphase den Ton an und versetzte dem in Las Vegas lebenden Rumänen Gavril vor allem in der dritten und vierten Runde schwere Körpertreffer, die Wirkung beim Gegner zeitigten. Benavidez versäumte es jedoch, in dieser Phase entschieden nachzusetzen, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen war, daß er in seinem ungestümen Drang allzu häufig danebenschlug. Vom fünften Durchgang an rang er sichtlich nach Luft, worauf er zunehmend erschöpft wirkte und in der Folge eher lethargisch als fest entschlossen zur Sache ging. Die Runden sechs bis neun verliefen recht eng, sollten aber an Gavril gegangen sein, der aktiver und angriffslustiger wirkte wie auch die deutlicheren Treffer landen konnte. Wenngleich Benavidez auch in dieser Phase versuchte, mit großer Wucht zu schlagen, beraubte ihn doch die offensichtliche Konditionsschwäche nachhaltiger Wirkung, zumal ihm der Gegner nun mit häufigeren Schlägen zum Körper zusätzlich die Luft nahm.

Augenscheinlich war Benavidez nicht in der körperlichen Verfassung, volle drei Minuten in jeder Runde zu kämpfen, wobei er selbst in seinen aktivsten Phasen nicht den allerfrischesten Eindruck machte. Seine Versuche, die Schläge des 31jährigen Gegners mit den Handschuhen abzufangen, mißlangen des öfteren, in der zweiten Hälfte des Kampfs ließ er häufig die Hände hängen und schlug zu wenig, um Gavril zu beeindrucken. Der hätte das Blatt in der zwölften Runde fast noch gewendet, als ihm der Favorit regelrecht in einen wuchtigen linken Haken lief und zu Boden fiel. Benavidez kam rasch wieder auf die Beine, hätte aber den Kampf gut und gern aufgrund des Punktabzugs wegen des Niederschlags verlieren können.

Alles in allem ließ der neue WBC-Weltmeister im Supermittelgewicht eine Reihe von Schwächen erkennen, die er schleunigst beheben sollte, will er den frischgewonnenen Gürtel nicht gleich wieder verlieren. Zum einen war es um seine Kondition auffallend schlecht bestellt, so daß sich sein Team fragen muß, was in der Vorbereitung schiefgelaufen war. Er wird von seinem Vater Jose Benavidez sen. trainiert, wobei es sein älterer Bruder Jose Benavidez jun. in seiner aktiven Zeit bis zum Interimsweltmeister der WBA im Halbweltergewicht gebracht hatte. Aus dem Trainingslager im Summit Gym in Big Bear, Kalifornien, hatte man nur Gutes gehört, was natürlich nichts besagen will, da kein Team etwaige Probleme vor dem Kampf nach außen durchdringen läßt.

Der bedenklichen körperlichen Verfassung dürfte wohl auch die mangelnde Schlagfrequenz in der zweiten Hälfte des Titelkampfs geschuldet sein, die seinen Vorsprung auf den Zetteln der Punktrichter schmelzen ließ. Hinzu kommt als weiteres Probleme eine löchrige Defensive, die ein gefährlicherer Gegner als Gavril gnadenlos ausnutzen würde. Und nicht zuletzt fällt auf, daß Benavidez durchweg aufrechtstehend boxt und sich weder duckt noch die Schläge des Gegners auspendelt, so daß er dem mit 1,88 m gleich großen Kontrahenten ein leicht zu treffendes Ziel bot. Wenngleich es durchaus Boxer gibt, die auf flinken Füßen und dank einer hervorragenden Gesamtaussteuerung ihre Kämpfe ohne viel Ducken und andere Überaufwände dominieren, gehört Benavidez eher nicht zu dieser Kategorie.

Wie er hinterher erklärte, sei er im Ring sehr entspannt zu Werke gegangen. Zu entspannt, möchte man dieser Schutzbehauptung entgegenhalten, da er es schlichtweg an Druck und Entschlossenheit fehlen ließ, die man mit einem angehenden Champion assoziieren würde. Daß der vakante Titel von keinem erfahrenen Weltmeister mit Zähnen und Klauen verteidigt wurde, war ein Glücksfall für Benavidez, der den Gürtel unter anderen Umständen kaum gewonnen hätte. Als der knapp gescheiterte Rumäne vehement eine Revanche verlangt hat, konnte man ihm das nicht verdenken. Benavidez wäre womöglich sogar gut beraten, sich dieser Forderung nicht zu verschließen. Gavril ein zweites Mal zu besiegen, dürfte leichter sein, als sich manch anderem Herausforderer in dieser Gewichtsklasse zu stellen. [1]

Wenngleich das Supermittelgewicht längst nicht mehr so hervorragend besetzt ist wie in früheren Jahren, wird es doch immer noch von diversen Akteuren bevölkert, die Benavidez vorerst überfordern würden. Derzeit sind Chris Eubank jun., Callum Smith und George Groves sowie weitere namhafte Rivalen in der World Boxing Super Series gebunden, die soeben begonnen hat. Sobald sie in diesem Turnier eine Niederlage bezogen haben und damit ausgeschieden sind, spätestens aber nach dem Finale im Mai 2018 muß auch Benavidez mit ihnen rechnen. Davon abgesehen kann dieser nur hoffen, daß ihn das WBC nicht dazu verdonnert, sich dem früheren Weltmeister Anthony Dirrell zu stellen. Der wäre ein Albtraum für den jungen Champion, selbst wenn dieser in bester körperlicher Verfassung in den Ring stiege. David Benavidez hat sich einen Platz in den Annalen des Boxsports gesichert. Will er diesen Rang mit Leben füllen und sein Talent zur Entfaltung bringen, fängt die eigentliche Arbeit für ihn gerade erst an.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/09/david-benavidez-vs-ronald-gavril-results/#more-242428

9. September 2017


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