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MELDUNG/2202: Das Publikum will im Sturm erobert sein (SB)



Artur Beterbijew (IBF) nimmt Adonis Stevenson (WBC) ins Visier

Am vergangenen Wochenende hat Artur Beterbijew durch einen Sieg über Enrico Kölling in Fresno, Kalifornien, den vakanten IBF-Titel im Halbschwergewicht gewonnen. Der 32jährige Russe, für den nun zwölf gewonnene Kämpfe zu Buche stehen, setzte sich zwar wie erwartet gegen den Außenseiter durch, wurde aber seinem Ruf nicht gerecht, der gefährlichste Akteur in dieser Gewichtsklasse zu sein. Kölling vermied es weitgehend, sich der gefürchteten Schlagwirkung des Gegners auszusetzen, und beschränkte sich meist auf die Defensive. Beterbijew versäumte es jedoch über weite Strecken, ihm entschieden nachzusetzen, und schien erst nach einem Treffer in der zwölften Runde aufzuwachen. Nun griff er endlich mit aller Macht an und schickte den Kontrahenten zweimal auf die Bretter, der daraufhin aus dem Kampf genommen wurde. Die Übertragung bei ESPN erzielte ausgezeichnete Quoten, was aber vor allem dem Auftritt des ungeschlagenen Jose Carlos Ramirez geschuldet war, der im Vorprogramm auf Mike Reed traf. Hingegen dürften Beterbijew und Kölling der Zuschauerschaft weithin unbekannt gewesen sein. [1]

Inzwischen hat der neue IBF-Champion den WBC-Weltmeister Adonis Stevenson zum Duell gefordert, um die beiden Titel zu vereinigen. Der 40 Jahre alte Kanadier kann mit 29 Siegen und einer Niederlage aufwarten. Er gibt am 27. Januar in Quebec City seinen nächsten Auftritt und bekommt es dabei voraussichtlich mit Badou Jack zu tun, der vor einiger Zeit seinen Gürtel im Supermittelgewicht zurückgegeben hat. Stevenson sollte ursprünglich gegen den Pflichtherausforderer Eleider Alvarez antreten, der jedoch offenbar für eine angemessene Abfindung sein Vorrecht zurückstellt und sich statt dessen mit dem Sieger des Kampfs in Quebec City messen wird.

Wie Beterbijew erklärt hat, sei er überaus glücklich, seinen langgehegten Traum wahrgemacht zu haben und Weltmeister geworden zu sein. Nun sei er bereit für Adonis Stevenson, gegen den er keinen Groll hege. Es handle sich aus seiner Sicht um eine rein sportliche Frage, da er sich einen zweiten Gürtel sichern wolle. Ob er gut beraten wäre, diese schwere Aufgabe auf direktem Wege anzusteuern, muß mit einem Fragezeichen versehen werden. Der Russe war mit über 300 Kämpfen und einer zweimaligen Olympiateilnahme zweifellos ein überragender Amateurboxer. Im Profilager wurde er angesichts seiner Gefährlichkeit mit reichlich Vorschußlorbeeren bedacht, hat aber aufgrund von Verletzungen und Streitigkeiten mit seinem Promoter 2016 lediglich zwei Kämpfe bestritten und 2017 sogar nur einmal im Ring gestanden. Das mag erklären, warum er gegen Kölling überraschend verhalten geboxt hat.

Der Rechtsausleger Stevenson ist nicht nur sehr erfahren, sondern auch nach wie vor schnell und kann gewaltig zuschlagen. Verglichen mit dem Kanadier wirkt der neue IBF-Champion eher langsam und längst nicht so mobil auf den Füßen. Selbst Enrico Kölling, der keinesfalls an Stevenson heranreicht, konnte dann und wann Treffer ins Ziel bringen, denen es freilich an Wirksamkeit fehlte. Das sähe im Falle des Kanadiers schon ganz anders aus, weshalb der Russe in Erwägung ziehen sollte, sich zuvor ein bis zwei etwas leichtere Gegner vorzunehmen.

Sollte es Beterbijew nicht gelingen, Stevenson in absehbarer Zeit vor die Fäuste zu bekommen, böte sich als Alternative eine Jagd auf den WBO-Titel an. Der wird am 25. November im Kampf zwischen dem früheren Weltmeister Sergej Kowaljow und Wjatscheslaw Schabranskij neu vergeben, so daß Beterbijew unter Umständen gegen den Sieger antreten könnte. Beim Verband WBA hat sich Dmitrij Biwol kürzlich den vakanten Titel gesichert und muß ihn zunächst gegen Sullivan Barrera verteidigen. Auch diese Trophäe wäre reizvoll für den Russen, der im Besitz zweier Gürtel eine deutlich bessere Ausgangsposition in Verhandlungen mit anderen Weltmeistern wie insbesondere Stevenson hätte.

In Kanada ließe sich ein Duell zwischen Beterbijew und Stevenson sicher ausgezeichnet vermarkten, doch da der WBC-Champion in aller Regel höchstens zwei Kämpfe pro Jahr oder wie 2016 und 2017 sogar nur einen bestreitet, käme der Russe wohl erst 2019 zum Zuge. Nach Badou Jack im Januar kommt in der zweiten Jahreshälfte aller Voraussicht nach Eleider Alvarez an die Reihe, so daß Stevenson 2018 praktisch ausgebucht ist. Warum es der Kanadier so gemächlich angehen läßt, obgleich sich das Ende seiner Karriere allmählich abzeichnet, ist nicht bekannt. Jedenfalls ließ er in der Vergangenheit nie großes Interesse an Vereinigungskämpfen mit anderen Weltmeistern wie insbesondere Sergej Kowaljow erkennen, sondern zog in aller Ruhe seine Kreise. Das brachte ihm den Vorwurf ein, er strecke seine Regentschaft als WBC-Champion, indem er stets handhabbare Gegner aussuche und die gefährlichsten Rivalen in dieser Gewichtsklasse meide. Wenngleich diese Kritik von der Sache her durchaus zutrifft, kann Stevenson doch mit Genugtuung für sich verbuchen, daß er immer noch Weltmeister ist, während sein alter Rivale Kowaljow von Andre Ward entthront wurde und auch die Revanche gegen den Kalifornier verloren hat. Der Kanadier dürfte also an einem Kampf gegen einen anderen Titelträger wie Beterbijew eher nicht interessiert sein.

Möglicherweise hat der Russe mit seinem laut vorgetragenen Wunsch, es Stevenson zu zeigen, ohnehin nur einen Versuchsballon gestartet. Er ist derzeit auf der Suche nach einem neuen Promoter und gerade dabei, sich per Gerichtsbeschluß von der GYM Group zu trennen, bei der er bislang unter Vertrag steht. Wenngleich Beterbijew natürlich eine baldige Entscheidung erhofft, da er seinen frischgewonnenen Titel in absehbarer Zeit verteidigen möchte, steht ein weiterer Bremsklotz in seiner Karriere zu befürchten, da sich solche Streitigkeiten erfahrungsgemäß lange hinziehen.

Ob Artur Beterbijew seinen Titel zunächst freiwillig gegen einen schwächeren Kandidaten verteidigt oder sich sofort dem in der IBF-Rangliste nächstplazierten Anwärter Oleksandr Hwosdyk stellt, steht noch nicht fest. Der Ukrainer saß jedenfalls am Ring, um Beterbijew und Kölling vor Ort unter die Lupe zu nehmen. Wenngleich man aus seiner bloßen Anwesenheit noch nicht ableiten kann, daß bereits Gespräche zwischen den beiden Lagern aufgenommen wurden, bleibt doch anzumerken, daß dies ein denkbar schwerer Gegner wäre. Hwosdyk ist schnell, technisch versiert und verfügt über eine beachtliche Schlagwirkung, so daß sich Beterbijew gegenüber dem Kampf mit Kölling schon erheblich steigern müßte, um die Oberhand zu behalten.

Bei seinem Titelgewinn gab der Russe eine allzu eindimensionale Vorstellung, die das Publikum sichtlich und hörbar langweilte. Obgleich Kölling ein Gegner war, dessen Schläge ihm kaum gefährlich werden konnten, hielt sich Beterbijew zurück, als müsse er jeden Konter fürchten. Das Geschehen im Ring schleppte sich so träge und ereignisarm hin, daß die Kontrahenten phasenweise ein Pfeifkonzert über sich ergehen lassen mußten. Beterbijew muß schon den Fuß von der Bremse nehmen, mehr Kombinationen schlagen und seine Gefährlichkeit nicht nur in Reserve halten, wenn er die Zuschauer in Kanada und den USA für sich einnehmen will.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/11/artur-beterbiev-calls-adonis-stevenson/#more-247294

18. November 2017


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