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MELDUNG/2223: Weltergewicht - Kühne Prognose vor dem Comeback ... (SB)



Amir Khan will bei seiner Rückkehr die Konkurrenz aufmischen

Der britische Weltergewichtler Amir Khan hat seit seiner Niederlage gegen Saul "Canelo" Alvarez im Mai 2016 nicht mehr im Ring gestanden. Damals war er zwei Limits aufgestiegen, um sich in einem hochdotierten Kampf des Mittelgewichts mit dem mexikanischen Star zu messen. Trotz seiner körperlichen Unterlegenheit bot er zunächst eine ausgezeichnete Vorstellung, bis er in der sechsten Runde von einem Volltreffer niedergestreckt wurde. Danach standen ihm diverse Gelegenheiten offen, seine Karriere fortzusetzen, von denen er jedoch keinen Gebrauch machte. Es mehrten sich Stimmen, die seine Neigung zum Boxsport in Zweifel zogen und dafür seine häufigen Reisen und Auftritte im Reality-Fernsehen zum Beleg anführten. Auch wurden familiäre Probleme publik, die ihn zeitweise voll und ganz in Beschlag zu nehmen schienen.

Nun hat sich der 31jährige Brite mit der Ankündigung zurückgemeldet, er wolle 2018 das Weltergewicht aufmischen und sich mit Keith Thurman, Danny Garcia, Lamont Peterson, Errol Spence und Adrien Broner messen. Zunächst aber plane er einen Aufbaukampf im März, um sich wieder in Schwung zu bringen. Khan, der 31 Auftritte gewonnen und vier verloren hat, ist eigenen Angaben zufolge bereit, mit Volldampf zu Werke zu gehen. Wie er hervorhebt, verfüge in dieser Gewichtsklasse niemand über die Größe, Schlagwirkung und Schnelligkeit, die "Canelo" gegen ihn ins Feld geführt hat. [1]

Der erste Kampf soll in England über die Bühne gehen, wo der aus einer Familie pakistanischer Einwanderer stammende Khan zuletzt 2013 aufgetreten ist. Damals behielt er in Sheffield umstritten nach Punkten gegen Julio Diaz die Oberhand, der als Außenseiter galt, gegen den der Brite sein Talent demonstrieren wollte. Diaz erzielte jedoch in der vierten Runde einen Niederschlag und erschütterte den Favoriten einige weitere Male, wie er auch über weite Strecken das Geschehen dominierte. Nach Einschätzung vieler Experten kam der Punktsieg für Khan einem großzügigen Heimbonus gleich. [2]

Die optimistische Einschätzung, er könne nun trotz seiner langen Abwesenheit fast auch Anhieb zum Durchmarsch ansetzen, ist mit Vorsicht zu genießen. Um Errol Spence oder Keith Thurman in die Schranken zu weisen, die derzeit als führende Repräsentanten des Weltergewichts gelten, bedarf es sicher einer gründlicheren Vorbereitung, als sie Khan derzeit vorschwebt. Er hat 2011 gegen Lamont Peterson und 2012 gegen Danny Garcia verloren, so daß er gut beraten wäre, zumindest mit einem von beiden eine Revanche anzustreben. Da Peterson am 20. Januar auf Errol Spence trifft und dabei höchstwahrscheinlich den kürzeren zieht, wäre das wohl ein geeigneter Prüfstein, anhand dessen der Brite sein aktuelles Leistungsvermögen einschätzen könnte.

Es wurde jedenfalls höchste Zeit für Amir Khan, seine unterbrochene Karriere wieder aufzunehmen, wenn er sie nicht ruinieren wollte. Nur wenigen Weltergewichtlern ist es gelungen, dem Ring zwei Jahre fernzubleiben und bei ihrer Rückkehr noch einmal auf höchstem Niveau zu kämpfen. Immerhin ist der Brite noch jung und vermutlich auch schnell genug, um dieses Wagnis mit Erfolg einzugehen. Der legendäre Sugar Ray Leonard legte seinerzeit mehrere lange Pausen ein und bot nach seiner Rückkehr im Kampf mit hochklassigen Kontrahenten wie Marvin Hagler überzeugende Leistungen. Das könnte auch Khan gelingen, wobei sich bei ihm vor allem die Frage stellt, ob ihm dieses Metier noch immer so viel bedeutet, daß er mit aller Entschiedenheit zu Werke geht.

Wie der Brite versichert, sei er hoch motiviert, wieder an die Arbeit zu gehen und noch einmal Weltmeister zu werden. Jetzt gebe es keine Entschuldigung mehr, sei diese Gewichtsklasse doch reich an namhaften Rivalen, die nur darauf warteten, von ihm in die Tasche gesteckt zu werden. Das klingt fast so, als müsse Khan sich in Stimmung reden und für etwas begeistern, wozu er im Grunde gar keine Lust mehr hat. Gerade weil es zutrifft, daß das Weltergewicht auch nach dem Abschied Floyd Mayweathers zu den am stärksten besetzten Limits zählt, dürfte der Brite alle Hände voll zu tun haben, wenn er sich mit gefährlichen Kontrahenten auseinandersetzt. Denkt man zurück an seinen Kampf gegen Chris Algieri im Mai 2015, dessen Schlagwirkung sich in engen Grenzen hält, gab der New Yorker doch in der zweiten Hälfte eindeutig den Ton an, so daß Khan am Ende über seinen Punktsieg froh sein konnte.

Daß er sich "Canelo" geschlagen geben mußte, kann man ihm hingegen kaum anlasten, da die allermeisten Weltergewichtler an dem physisch weit überlegenen Mexikaner scheitern würden, der zu den besten Akteuren im Mittelgewicht gehört. Khan ist bis heute der Überzeugung, daß er wahrscheinlich nach Punkten gewonnen hätte, wäre es ihm nur gelungen, sich keinen derart schweren Treffer einzuhandeln. Abwegig ist das nicht, da Alvarez in der ersten Hälfte des Kampfs beträchtliche Probleme mit dem beweglichen Briten hatte. Von den anderen namhaften Weltergewichtlern hätten wohl nur Errol Spence, Keith Thurman, Shawn Porter und Terence Crawford gewisse Aussichten, es mit "Canelo" aufzunehmen. Spence würde ihm eine Schlacht aufzwingen, Porter enormen Druck entfalten, Thurman mit schnellem Vorstoß und Rückzug arbeiten, Crawford dem Vorbild Mayweathers folgen und den Mexikaner auskontern.

Was hinsichtlich "Canelos" hypothetische Erwägungen bleiben, bekäme Amir Khan am eigenen Leib zu spüren, würde er sich mit den genannten Kontrahenten messen. Errol Spence wäre er kaum gewachsen, zumal der IBF-Weltmeister angreift, als kenne er keine Furcht, und mit enormer Wucht auch zum Körper schlägt. Thurman sollte er ebenfalls lieber später als früher in die Quere kommen, da sich ihre Kampfesweisen ähneln, der WBA/WBC-Champion jedoch bei seinen schnellen Angriffen nicht nur punkten, sondern auch Niederschläge herbeiführen kann. Fehlende Praxis im Ring nach einer ausgiebigen Pause ist kein Manko, das sich durch bloßes Warmlaufen beheben ließe. Es gehört sehr viel mehr dazu, sich wieder mit einer Situation zu konfrontieren, der man sich am allerwenigsten aussetzen möchte. Und dies um so mehr bei Gegnern wie Spence oder Thurman, die sich, jeder auf seine Art, für unbesiegbar halten, weil sie noch nie den kürzeren gezogen haben und gefürchtet werden.

Im Grunde genommen wäre Amir Khan weit besser beraten, bis ins Halbweltergewicht hinunterzugehen, wenn er es denn schaffen würde, ohne Substanzverlust so leicht zu werden. Wenn überhaupt, dann hätte er dort die Chance, aufzuräumen und sich einen Gürtel zu sichern, da die Konkurrenz deutlich schwächer als im höheren Limit ist. Terence Crawford ist ins Weltergewicht aufgestiegen, Mikey Garcia macht nur eine Stippvisite, um Sergej Lipinets den IBF-Titel abzunehmen, was ihm wohl gelingen dürfte, um dann sofort wieder ins Leichtgewicht zurückzukehren. Ansonsten ist niemand in Sicht, der auch nur annähernd so talentiert wie die beiden zu Werke geht. Wohl fehlt es auch in dieser Gewichtsklasse nicht an guten Boxern, die Khan vor Probleme stellen würden, doch wären es längst nicht schier unüberwindliche wie im Falle von Errol Spence und Keith Thurman. Da der Brite nach seiner zweijährigen Pause aber vermutlich froh sein kann, wenn ihn die Waage als Weltergewichtler durchgehen läßt, sind die letztgenannten Erwägungen Schall und Rauch. Ob das auch für die kühne Prognose des Briten gilt, der seinen arg strapazierten Ruf im Handstreich aufpolieren will, wird das Jahr 2018 zeigen.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2018/01/khan-puts-thurman-147lb-division-notice/#more-251873

[2] http://www.boxingnews24.com/2018/01/khan-shock-news-next-10-days/#more-251952

3. Januar 2018


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