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MELDUNG/2224: Schwergewicht - Nur nicht auf die lange Bank schieben ... (SB)



Tyson Fury will sich sofort mit Anthony Joshua messen

Der britische Schwergewichtler Tyson Fury will sich bei seiner Rückkehr in den Ring nach einer Pause von zweieinhalb Jahren sofort mit seinem Landsmann Anthony Joshua messen. Diese überraschende Herausforderung hat der ehemalige Champion dem aktuellen Weltmeister der Verbände WBA und IBF über die sozialen Medien angetragen. Die Ankündigung Furys, er wolle ohne einen vorherigen Aufbaukampf unmittelbar gegen Joshua antreten, dürfte dessen Promoter Eddie Hearn gerne hören. Das könnte nämlich bedeuten, daß Anthony Joshua nach seinem Kampf gegen den WBO-Champion Joseph Parker bereits im nächsten Schritt auf Tyson Fury trifft, noch bevor dieser wieder Tritt gefaßt hat.

Was den 29jährigen Fury zu diesem unvorsichtigen Schritt veranlaßt hat, ist nicht bekannt. Möglicherweise will er unbedingt der erste sein, der Joshua besiegt, und nicht darauf warten, daß ihm Deontay Wilder womöglich im Sommer zuvorkommt. Solange die beiden Briten ungeschlagen sind, läßt sich ihr Duell natürlich wesentlich besser vermarkten. Das könnte zumindest einer der maßgeblichen Gründe sein, warum sich Tyson Fury nicht bis Ende des Jahres gedulden will. Hinzu kommt, daß ein Vertrag der beiden Weltmeister zweifellos eine Rückkampfklausel enthalten und eine Revanche im Spätherbst alle anderen Optionen auf 2019 verschieben würde. Wenngleich Parker, Wilder und Fury auf Eddie Hearns Wunschliste für das laufende Jahr stehen, heißt das noch lange nicht, daß sie auch in dieser Reihenfolge abgearbeitet wird. [1]

Seiner Überzeugung nach ist Fury der beste Schwergewichtler der Welt und bereit, es jedem zu beweisen. Er schätzt den in 39 Kämpfen ungeschlagenen Wilder stärker als Joshua ein, der sich dem Champion aus Tuscaloosa in Alabama beugen müßte, käme es denn zu diesem Duell. Vielleicht ist es schlichtweg die Vorstellung, daß ihm niemand das Wasser reichen könne, die Fury alle Bedenken vergessen läßt, wenn er seinen Landsmann lieber heute als morgen vor die Fäuste bekommen möchte. Dabei ist er wohl eher kein Geschäftsmann, der sich zu Werbezwecken je nach Bedarf und Erfolgsaussichten in Szene setzt, sondern in gewissem Ausmaß von erratischem Wesen. Wenn er heute euphorisch twittert, er könne dick und fett vom Sofa aufstehen und Joshua ohne jedes Training aus den Schuhen hauen, muß das nicht zwangsläufig bedeuten, daß er das morgen auch noch glaubt und dementsprechend handelt.

Wenngleich Fury das niemals zugeben würde, sind Wilder und Joshua die talentierteren Boxer. Was ihn im Ring auszeichnet, ist eine recht unorthodoxe Kampfesweise, die es in Verbindung mit seiner Größe von 2,06 m jedem Gegner schwermachen kann, ihn überhaupt zu erreichen. Dem Anschein nach ist er fleißig dabei, zunächst einmal soviel Gewicht loszuwerden, daß er einige Runden durchhalten könnte. Um sich wieder in Form für einen ganzen Kampf zu bringen, bedürfte es jedoch monatelanger harter Arbeit in der Trainingshalle, und selbst dann wäre ungewiß, ob er noch einmal an seine besten Zeiten anknüpfen kann. So gesehen macht es sogar Sinn, wenn er keinen Gedanken an Kämpfe gegen Alexander Powetkin, Luis Ortiz, Dillian Whyte oder Jarrell Miller verschwendet. Jeder von ihnen könnte ihm derzeit gefährlich werden und seine Ambitionen auf einen baldigen Titelkampf durchkreuzen, obgleich sie im Konzert der führenden Schwergewichtler nur die zweite Geige spielen.

Statt dessen setzt Fury wie selbstverständlich auf allerhöchster Ebene an, als habe die Boxwelt nur auf seine Rückkehr gewartet. Inzwischen bietet er Joshua sogar einen Kampf an, bei dem der Sieger die gesamte Börse bekommen soll, während der Verlierer leer ausgeht. Es vergeht kaum ein Tag ohne eine neue Pointe des ehemaligen Champions, der die einschlägigen Portale unablässig mit eingängigen Schlagzeilen füttert. Und da Fury wesentlich unterhaltsamer als Joseph Parker ist, verdrängt er den Neuseeländer aus dem Fokus medialer Wahrnehmung, als sei der bevorstehende Kampf der beiden Weltmeister nicht der Rede wert. Bevor es losgeht, benötigt Tyson Fury allerdings noch eine neue Lizenz der britischen Boxkommission. Sie zu bekommen sollte aber kein Problem sein, nachdem ihm die nationale Antidopingagentur bereits grünes Licht gegeben hat. Im unwahrscheinlichen Fall einer Ablehnung würde er die Zulassung eben in einem anderen Land beantragen und irgendwo auch bekommen. [2]

Letzten Endes wird Eddie Hearn entscheiden, wann der Kampf zwischen Joshua und Fury stattfinden soll. Eine hohe Hürde in den Verhandlungen werden die finanziellen Vorstellungen des früheren Weltmeisters sein, der bereits einen Anteil von 60 Prozent gefordert hat. Darauf wird sich Joshuas Promoter niemals einlassen, und dies nicht nur aus monetären Gründen. Der Aufstieg zu einem der führenden Vertreter seiner Zunft weit über die Insel hinaus verdankt sich nicht zuletzt dem unablässigen Ausbau seines Einflusses. Er läßt sich nicht über den Tisch ziehen und kann sich dabei auf die Hausmacht des britischen Boxpublikums verlassen, die seine Kriegskasse unablässig füllt. Vermutlich steht ihm der Sinn danach, Fury auf 40 Prozent herunterzuhandeln, wofür er ihm im Gegenzug für den Fall seines Sieges einen höheren Anteil bei der Revanche in Aussicht stellen könnte. So jedenfalls ist Hearn mit Joseph Parker und dessen Promoter verfahren, die sich im ersten Kampf mit knapp über 30 Prozent begnügen müssen.

Möglicherweise ist Joshuas Promoter der Auffassung, daß sich ein Duell mit Fury erheblich besser vermarkten ließe, wenn dieser zuvor zwei oder drei Aufbaukämpfe gewonnen und sich beim britischen Publikum wieder in Erinnerung gebracht hätte. Dafür ließen sich sicher heimische Gegner finden, die den Zuschauern bekannt sind, aber Fury nicht gefährlich werden können. Auch ist natürlich ungewiß, ob die Boxfans sofort tief in die Tasche greifen, um ihn zu sehen, oder lieber erst einmal abwarten, ob er sich überhaupt in Form gebracht hat und wieder gut mitmischen kann.

Was zwischenzeitliche Gegner betrifft, könnte Fury aber auch einen Kampf gegen Shannon Briggs in Erwägung ziehen, der sich vor kurzem dafür angeboten hat. Bislang hat sich allerdings nur der US-Amerikaner dementsprechend geäußert, daß er zur Verfügung stehe, sich aber keineswegs aufdrängen wolle. Der mittlerweile 46 Jahre alte frühere WBO-Weltmeister ist nach einer Dopingsperre wieder einsatzbereit und vor allem am britischen Markt interessiert, wo er sich seit geraumer Zeit umgetan und immer wieder ins Gespräch gebracht hat. Briggs ist natürlich längst nicht mehr so schnell und gefährlich wie zu seiner besten Zeit, so daß er einen Gegner abgeben könnte, der Fury einen unterhaltsamen Kampf liefert, ohne ihn vor unlösbare Probleme zu stellen. Allerdings hat sich Briggs seit längerem auf Schläge zum Körper spezialisiert, die er beidhändig mit enormer Wucht ausführen kann. Auf diese Weise hat er Kontrahenten in Serie binnen ein bis zwei Runden besiegt, und wenngleich es sich dabei auch um namenloses Kanonenfutter gehandelt hat, müßte der Brite auf der Hut sein.

Eine andere attraktive Option für Tyson Fury wäre Manuel Charr, der sich kürzlich durch einen eher unerwarteten Sieg über den Weißrussen Alexander Ustinow den Titel des regulären WBA-Weltmeisters im Schwergewicht gesichert hat. Da in diesem Fall sogar ein Gürtel zur Disposition stünde und Charr medienaffin ist, ließe sich dieses Duell sicher zu einem Ereignis aufbauen, das auf beträchtliches Publikumsinteresse stößt und qualitativ höherwertig als ein Kampf gegen einen britischen Kontrahenten aus der dritten oder vierten Reihe wäre.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2018/01/fury-vs-joshua/#more-252046

[2] http://www.boxingnews24.com/2018/01/fury-joshua-not-better-deontay-wilder/#more-251996

6. Januar 2018


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